Arabiens Stunde der Wahrheit
entwickelt, betonte John Harris und drückte damit wohl die in Washington vorherrschende Meinung aus. Man beobachtete dort mit Sorge, wie neben den regulären Streitkräften von etwa 120000 Mann eine islamische Miliz aufgestellt wurde, eine »Volksverteidigungskraft«, die auf die flammend antiimperialistischen Predigten des Scheikh Hassan el-Turabi ausgerichtet war. Unter diesen »Ansar« der »Peopleâs Defence Force« taten sich vor allem die Frauen-Bataillone durch ihren kämpferischen Eifer hervor. Bei ihren Paraden marschierten die Amazonen im grünen Tschador und hielten voll Stolz die Kalaschnikow quer über der Brust.
Wann immer in den kommenden Tagen mein Betreuer und Ãberwacher Bassam sich einstellte, suchten wir das sudanesische AuÃenministerium auf, wo es freundlich, aber chaotisch zuging. Unter den bärtigen Imamen, die dort vorsprachen, entdeckte ich auch die kuriose Gestalt des amtierenden Staatssekretärs Gabriel Rorik, eines hochgewachsenen Dinka, der sich unter dem schwarzen Jackett des Clergyman, ähnlich wie sein südafrikanischer Kollege Desmond Tutu, mit dem violetten Hemd und silbernen Kreuz der episkopalischen Würdenträger schmückte. Es war immerhin â gemessen an anderen Ländern der Arabischen Liga â bemerkenswert, daà dieser anglikanische Bischof aus Juba eine hohe Position in einem Schlüsselministerium einnahm, auch wenn er zur willfährigen Kooperation mit den Islamisten verurteilt war.
Endlich war es soweit, Omar el-Bashir lieà mich zur Audienz rufen. Zwar teile ich die Meinung des groÃen Schriftstellers und Reporters Joseph Roth, der das Interview als »bequeme Zuflucht aus journalistischer Verlegenheit« bezeichnete. Aber mir ging es nicht um die ohnehin vorprogrammierten Aussagen des sudanesischen Staatschefs, sondern um den persönlichen Eindruck, den dieser Diktatorvermitteln würde. Bassam machte mich auf das kolossale Parlamentsgebäude aufmerksam, das ausgerechnet der kommunistische Despot der Volksrepublik Rumänien, Nicolae Ceaus¸escu, der »Jumhuriya« Sudan gestiftet hatte. Nicht weit davon entfernt zeigte mir Bassam einen relativ komfortablen Appartment-Block. Mit einem unerwarteten Anflug von Vertraulichkeit deutete mein Bewacher auf eine der Wohnungen im dritten Stock. »Dort hatte sich der internationale Terrorist Carlos, aus Syrien kommend, unter falscher Identität einquartiert. Sobald wir ihn enttarnt hatten, wurde er an Frankreich ausgeliefert, wo er wegen Ermordung zweier Beamter des französischen Abwehrdienstes DST gesucht wurde.« Carlos sei ja nur ein abenteuernder gottloser Verbrecher gewesen, nicht zu vergleichen mit den frommen Jihadisten, die auf dem Wege Allahs kämpfend gegen die ungläubigen Unterdrücker vorgingen.
In Wirklichkeit, so sollte ich wenige Tage später erfahren, hatte der französische Nachrichtendienst seinen sudanesischen Kollegen präzise Luftaufnahmen von diversen Rebellenbewegungen geliefert, die sich im Süden dieses riesigen Landes gegen die ZwangsÂislamisierung und die Willkür der Zentralregierung von Khartum auflehnten. Man habe später behauptet, so fuhr mein »Guide« fort, Carlos habe während seines Aufenthalts im Sudan in Saus und Braus gelebt. Angeblich sei er ständig betrunken gewesen und habe sich von Huren verwöhnen lassen. Aber solche Ausschweifungen und Exzesse seien überhaupt nicht denkbar gewesen unter dem strengen Regiment, das zu jener Zeit Scheikh Turabi seinen Landsleuten auferlegt hatte.
Staatschef el-Bashir trug am Tag unserer ersten Begegnung einen hellblauen Safari-Anzug. Ãhnlich waren seine Mitarbeiter gekleidet. Als ich den spärlich möblierten Empfangssaal betrat, verÂabschiedete sich gerade eine riesige, pechschwarze Frau, die ihre Leibesfülle in einen knallbunten Boubou gehüllt hatte. Bashir stellte sie mir vor. »Das ist Mrs. Agnius Lukado, die Gouverneurin unserer Südprovinz mit Sitz in Juba. Sie gehört dem Dinka-Volk an und ist Christin.« Frau Lukado â Tochter eines protestantischen Bischofs â trat in dieser muslimischen Offiziersrunde auÃerordentlich selbstbewuÃt auf. Nachdem sie mir mit negroider Fröhlichkeit die Hand geschüttelt hatte, lud sie mich zu einem Besuch in Juba ein und rauschte dann majestätisch davon.
Im folgenden lockeren Gespräch versuchte el-Bashir nicht im geringsten, die
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