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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Sie begannen umständlich zu schrauben und zu hämmern. Die militärischen Bewacher sahen der Überprüfungsarbeit an den Aggregaten neugierig zu und gaben skeptische Kommentare ab. Hassan war nicht aus der Ruhe zu bringen. Es dauerte drei Stunden, dann war das Wunder vollbracht. Der Rhythmus der Maschinen klang mit befriedigender Regelmäßigkeit in den Ohren des Kapitäns. Wir rollten auf die Startbahn zu. »Luege Sie«, sagte Hassan, »jetzt fliegen wir doch nach Juba«, und ich fügte hinzu: »In scha’a Allah!«
    Der Ausblick auf die Landschaft am Weißen Nil entfaltete sich an diesem strahlenden Morgen in exotischer Pracht. Die Fluten des Weißen Nils waren wie Milchkaffee gefärbt. Hassan erklärte mir, daß die Einheimischen diesen Oberlauf des Stroms, der zeitweilig durch schwarze Felsen gesäumt ist, »Bahr el Djebl«, Meer des Berges, nennen. Es sei bezeichnend, daß für die großen Flüsse der Sahelzone das arabische Wort »Bahr« benutzt wird, das in der Schriftsprache mit »Meer« zu übersetzen ist. Doch für die durstigen, stets auf Brunnensuche befindlichen Nomaden wirkt die mirakulöse Präsenz gewaltiger Wassermassen inmitten der verdorrten Steppe – ob es sich nun um den Nil, den Gazellen-Fluß oder den Niger handelt – so beeindruckend, daß der bescheidene Ausdruck »Wadi« dafür nicht ausreicht.
    Hassan übernahm die Rolle des Fremdenführers. Er flog so niedrig, wie es das Gewicht seines Riesenvogels erlaubte. Ein paar Lehmhüttensignalisierten den Flecken Kodok. Südlich von Malakal, so bestätigte er, beginne das Rebellengebiet. Das Terrain färbte sich grünlich, und wir folgten nunmehr der schnurgeraden Trasse des Jonglei-Kanals, der den Abfluß des sich im Morast des Sudd stauenden Nilwassers beschleunigen und für landwirtschaftlichen Anbau nutzbar machen sollte. Der Pilot zeigte mir die Ortschaft Ayod, wo ein Zauberer und Wundertäter bei den animistischen Niloten großen Zulauf genieße. Wir erreichten die Parklandschaft der Savanne. Die Vegetation wirkte zusehends tropisch, während wir uns Juba näherten. »Wundern Sie sich nicht, wenn wir bei der Landung in steilen Kurven auf die Piste zustoßen«, warnte Hassan. »Die Rebellen der SPLA stehen höchstens zehn Kilometer von der Stadt entfernt und schießen gelegentlich mit schweren Maschinengewehren auf die anfliegenden Maschinen. Wir wollen kein unnötiges Risiko auf uns nehmen.«
    In jenen Tagen bot Juba ein erbärmliches Bild des Niedergangs und des Verfalls. Da war ich also im Herzen Afrikas angelangt, eine düstere Weltgegend, die mir allzu vertraut war, und schon – so schien mir – waren die Dämonen der Finsternis wieder entfesselt. Dem Regierungsbeamten Amin, einem Muslim aus dem Süden, merkte man auf den ersten Blick den Polizeispitzel an. Unsere Autofahrt ging an Strohhütten und halbverfallenen Geschäftsfassaden vorbei, deren griechische Besitzer von einst sich längst in ihre hellenische Heimat abgesetzt hatten. Es wimmelte von ärmlichen Menschen, die riesengroß und hager gewachsen waren. Sie gehörten überwiegend dem Volk der Dinka an. In den Regierungsdistrikt »Bahr el Djebl« seien zahllose Flüchtlinge aus den Kampfzonen geströmt. Die Bevölkerung sei auf eine Million Menschen angeschwollen, teilte mir Amin mit, als wolle er damit den elenden Zustand der Slums entschuldigen. Die schwarze Urwaldkulisse im Hintergrund wirkte unheimlich. Der Weiße Nil wälzte sich träge und fett wie eine lehmverkrustete Anakonda auf die Stümpfe des Sudd zu.
    Wir erreichten das offizielle Verwaltungszentrum, das von ir­gendeinem Ostblockstaat in trostlosem Plattenbaustil als sozialis­tischeAufbauspende hinterlassen worden war. In einem dieser Kästen erwartete mich der »Minister für Frieden und Wiederaufbau«. Er betonte ungefragt, daß er einer südlichen Niloten-Rasse angehöre und gläubiger Christ sei. Minister Lasu Gale überragte mich mindestens um einen Kopf und war schwarz wie Ebenholz. Er trug einen europäischen Anzug mit Krawatte und trennte sich nie von seinem rituellen Häuptlingsstab.
    Bei der Besichtigung eines Flüchtlingslagers, von denen es im schwarzen Erdteil allzu viele gibt, fiel mir auf, daß die Eingeborenen, die offenbar dem koranischen Gesetz nicht unterworfen waren, sich

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