Arabiens Stunde der Wahrheit
Ich bin in meiner Bemühung auf einen liebenswürdigen Hünen namens Ahmed el-Gaafar angewiesen, einen hohen Beamten des sudanesischen AuÃenministeriums, den ich als Botschafter in Berlin schätzen gelernt hatte. Er besucht mich regelmäÃig im Hotel, wo er â umringt von schweigsamen Chinesen â mir immer wieder Mut zuspricht. Um mir die Zeit zu vertreiben, lädt mich der Botschafter zur Hochzeit eines Verwandten ein, die unter einem riesigen Zelt gefeiert wird. Ich genieÃe orientalische Gastlichkeit, aber wieder einmal verwundert mich bei solchen Anlässen, daà bei der zum Fest versammelten Sippe keine ausgelassene Stimmung, keine wirkliche Heiterkeit aufkommt. Die jungen Männer, Freunde und Verwandte des Bräutigams, stimmen einen monotonen Gesang an und täuschen mit wiegendem Oberkörper einen Schwertertanz vor. Die Vermählungszeremonie erreicht ihren feierlichen Höhepunkt in der Predigt eines Korangelehrten, von dem man ehrfürchtig berichtet, er habe in der berühmten El Azhar von Kairo sein Wissen erworben.
Seit meinem letzten Ausflug nach Juba im Jahr 1994 hat sich die Situation im ganzen Orient gründlich verändert. Der Sudan des GeneralBashir ist in das Fadenkreuz der amerikanischen Kampagne gegen den »islamistischen Terrorismus« geraten. Er wurde von Präsident George W. Bush in die Kategorie der »rogue states« eingereiht und mit allen erdenklichen Sanktionen belegt.
»Heute stellt man übrigens unseren Präsidenten Bashir nicht mehr wegen der angeblichen Greuel sudanesischer Soldaten im Süden des Bahr el Ghazal an den Pranger, sondern wegen eines frei erfundenen âºVölkermordesâ¹ in der Westprovinz Darfur«, entrüstet sich Botschafter el-Gaafar über die neuen Anfeindungen, denen sich das Regime ausgesetzt sieht. Wir sitzen noch eine Weile auf der Terrasse des Funduk und blicken auf den Blauen Nil. Ein Freund des Botschafters, Professor Hassan Mekki von der »African University Khartum«, hat sich zu uns gesellt. Er versucht, mir die Vielfalt dieser zum internen Zwist verurteilten Republik zu erklären. »Was die Chinesen von den Amerikanern und von den Europäern unterscheidet«, so stellt Mekki fest, »ist ihre Zurückhaltung in politischen Dingen.«
Die Atlantische Allianz im Gefolge der Hegemonialmacht USA dränge ihre Partner der unterschiedlichsten Kulturkreise, sich auf die demokratischen Strukturen und die kapitalistischen Praktiken auszurichten, wie sie von den Vereinigten Staaten vorgeschrieben, wenn auch nicht immer vorgelebt würden. Die Volksrepublik von Peking hingegen suche gewià ihren wirtschaftlichen Vorteil beim weltweiten Erwerb all jener Rohstoffe und Mineralien, die auf ihrem Territorium nicht vorhanden sind. Aber dafür würden sie â oft mit ameisenähnlichen Kolonnen eigener, streng abgeschirmter Arbeiter â erstaunliche Entwicklungsleistungen für ihre Klienten erbringen. Im Hinblick auf die internen politischen Verhältnisse des jeweiligen Gastlandes hüte Peking sich vor jeder Einmischung. Von verschwörerischen Umsturzbewegungen oder gar von gewalttätig angezettelten Komplotten zwecks Umwandlung des jeweilig existierenden Regimes könne bei ihnen nicht die Rede sein. Deshalb sei es so viel bequemer und unbedenklicher, mit Peking zusammenzuarbeiten, zumal jeder Wirtschaftskooperation mit dem Westen weiterhin der üble Nachgeschmack des Kolonialismus anhafte.
DieSonne steht fahl über dem Zusammenfluà der beiden gewaltigen Nilarme, die von neuen Brücken wie von Greifarmen überspannt werden. Aus dem Dunst leuchtet nur der »Hilal«, der Halbmond, mit kristallener Klarheit. Ãhnliche Traurigkeit in platter, öder Landschaft hatte ich am sandigen Ufer des Syr Daria in Zentralasien erlebt. Die Ebene ringsum erscheint wie ein abweisender Planet, auf dem die häÃlichen Behausungen wie Geschwüre aus dem Boden wachsen und das Menschengewimmel aus der Ferne dem Getümmel eines Termitenhügels ähnelt. Mit der Zwillingsstadt Khartum ist Omdurman durch eine Anhäufung von Lehmbauten organisch zusammengewachsen. Millionen Flüchtlinge aus dem Süden und dem Darfur haben hier ein Minimum an Sicherheit gesucht.
Auf dem groÃen, leeren Zentralplatz, dem »Meidan«, so erklären meine Begleiter, sei vor einem knappen Jahrhundert das Mahdi-Kalifat unter den Kartätschen Lord
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