Arabiens Stunde der Wahrheit
die Wirklichkeit stets vor Augen haben, ähnlich absurd wie die einst kläglich gescheiterten Militäreinsätze der Vereinten Nationen am Kongo oder in Kambodscha. Die Europäer geraten allzu schnell in den Ruf von Neo-Kolonialisten. Die Söldnerkontingente, die von den diversen Ländern der Dritten Welt zwecks Finanzierung des eigenen Staatsbudgets zur Verfügung gestellt werden, müsse man auf gut Deutsch als einen »Sauhaufen« bezeichnen. Es fänden gewià abscheuliche Gemetzel unter den Stämmen, den AufstandsÂbewegungen und den Räuberbanden statt, die neuerdings sogar die StraÃe zwischen El Fasher und El Obeid verunsichern, aber von einem gezielten Völkermord könne nicht die Rede sein.
Meine sachlichen, von keinerlei ideologischen Vorurteilen belasteten Gesprächspartner sind zu dem Schluà gelangt, daà im Sudan wie in so manchen anderen Weltgegenden â jenseits aller moralischen Vorwände â der brutale Streit um Rohstoffe entbrannt sei. »Warby proxies â Stellvertreterkrieg«, so lautet die geläufige Formel. Nach dem EinfluÃverlust, den die Vereinigten Staaten im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien registrieren muÃten, halte Amerika Ausschau nach den immensen Ressourcen Afrikas, verlagere sein Gewicht in diese teilweise unerschlossenen Rohstoffreservate, ob es sich nun um Erdöl, Uran, Kupfer oder vor allem um Coltan handele. Wer hätte sich vor zwanzig Jahren vorgestellt, daà die Volksrepublik China in der Lage wäre, der einzig verbliebenen Supermacht USA die Stirn zu bieten und das US-Monopol â wie hier im Sudan â in seine Schranken zu weisen?
Europäische Tugendbolde
Khartum, März 2010
Drei harte Schläge gegen die Zimmertür reiÃen mich aus dem Schlaf und befördern mich in die sudanesische Gegenwart des März 2010 zurück. Ich brauche ein paar Sekunden, um festzustellen, wo ich mich befinde. In spätkolonialer Zeit hatte sich das Wecken der Gäste im Grand Hotel von Khartum und in den übrigen Herbergen des untergehenden britischen Empire weit stilvoller Âgestaltet. Ein barfüÃiger Boy in weiÃer Livree pochte behutsam um sechs Uhr morgens an. Er servierte mit breitem Mohrenlächeln eine Tasse Tee und eine Banane. »Early morning tea, Sir«, sagte er dazu, und auch das Aushängen des Hinweises »Please do not disturb« konnte an diesem feierlichen Ritual nichts ändern.
Am Vorabend habe ich lange mit Boutros, dem libanesischen Manager der Karawanserei, zusammengesessen. Sein phönizisches Profil wird durch den kräftigen schwarzen Bart noch betont. Er stammt aus dem Distrikt El Metn, wo auch ich zwei Jahre verbracht habe, und wir zählen eine Reihe gemeinsamer Bekannter auf. ÂBoutros äuÃert sich ganz ungeniert über die Resultate der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die im Sudan gerade ausgezähltwerden. Der Sieg Omar el-Bashirs in der Nordhälfte steht von vornherein fest. Dazu bedarf es nicht einmal eines flagranten Betrugs bei der Leerung der Urnen. Der starke Mann des Sudans ist als einziges amtierendes Staatsoberhaupt vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und angeblichen Genozids in der Provinz Darfur zur Fahndung ausgeschrieben worden. Diese Diskriminierung sei ihm sogar bei der Bevölkerung zugute gekommen, meint Boutros, denn sie habe in den letzten Jahren von einer erheblichen Anhebung ihres Lebensstandards profitiert.
Die regierende »Nationale Kongresspartei« braucht ebenfalls nicht um ihre absolute Mehrheit in der Kammer zu fürchten. Von den Oppositionsführern sind zwei namhafte Kandidaten vorzeitig aus dem Rennen ausgeschieden, weil das Regime Bashirs eine ehrliche Abstimmung verhindert hätte, sagen die einen, weil sie gegen den General ohnehin keine Chancen besäÃen, sagen die anderen. So verzichtete Yassir Amran, Chef der »Sudanesischen Volksbefreiungsfront«, auf die offene Konfrontation, und Sadeq el-Mahdi, der Vorsitzende der »Umma« und Urenkel des legendären Aufstandsführers, tat es ihm gleich.
Nur Hassan el-Turabi, der als Moslembruder, als »Mujahid«, ja als »Terrorist« verfemte Führer einer radikalen Bewegung, der im Jahr 1994 noch als Inspirator der »National-islamischen Front« aufs engste mit Omar el-Bashir zusammengearbeitet hatte, stellt sich in aller Offenheit gegen
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