Arabiens Stunde der Wahrheit
Lebensmittelrationen seien durch internationale Spenden gesichert, berichtet Ibrahim. Deren Verteilung werde von der Polizei überwacht und von dem jeweiligen Sippenältesten je nach Kopfzahl vorgenommen. Am meisten Sorge bereite die Wasserversorgung. Auch hier drängen sich Frauen mit ihren Kanistern um einen Tankwagen. Ich stoÃe auf keine ausgemergelten Hungerleider, auf keine wandelnden Skelette in Abu-Shook, auch nicht auf durch Hunger oder Seuche aufgeblähte Kinderbäuche. Abu-Shook ist vermutlich ein privilegiertes Vorzeigeobjekt.
Mit zunehmender Konsolidierung der Notunterkünfte droht hier nach und nach aus dem Provisorium eine permanente menschliche Niederlassung zu werden, und viele Entwurzelte verfallen einer trägen, zur Untätigkeit neigenden »mentalité dâassistés«. Ibrahim el-Khalil scheint meine Gedanken zu ahnen. »Wir werden vermutlich diese Camps nie wieder auflösen können, wenigÂstensso lange nicht, wie die hier Gestrandeten regelmäÃige Nahrungsrationen, medizinische Versorgung und unentgeltlichen SchulÂunterricht erhalten«, meint er. Als Ursache dieser massiven Bevölkerungsumschichtung, die â sehr approximativ â auf zwei Millionen Menschen geschätzt wird, läÃt er die Nachlässigkeit oder die Terrormethoden der Zentralbehörden von Khartum nur sehr begrenzt gelten.
Seit Jahrhunderten weitet sich die Sahara nach Süden aus und verengt das Weideland der Nomaden. Gleichzeitig vermehrt sich â auf Grund der modernen Hygiene â die Bevölkerungsdichte auf dramatische Weise. Selbst die Herden der Nomaden würden sich dank der Fürsorge von UN-Veterinären vervielfältigen. Schon immer rückten während der Trockenzeit die berittenen, kriegerischen Hirtenvölker heran, um den miÃachteten Stämmen der Ackerbauern die sich stets reduzierenden Grünflächen streitig zu machen. Dabei stützen sie sich auf einen angeblichen Ausspruch des Propheten Mohammed, der beim Anblick eines Pfluges gesagt habe, dieses Instrument bringe Schande über die Familien derjenigen, die sich seiner bedienen müÃten.
Der Lagerdirektor ist ein nachdenklicher Mann. Ein ähnlicher Konflikt gehe ja bereits auf die biblische Genesis zurück, als der Opferrauch des Hirten Abel wohlgefällig zu Gott aufstieg, während der Qualm seines Bruders Kain, der den Boden mühsam beackerte, am Boden kroch. Im Kern sei es der uralte Gegensatz zwischen Kain und Abel, der sich in dem aktuellen Bruderkrieg des Darfur widerspiegele, nur daà in diesem Fall Abel den Ackerbauer Kain erschlägt.
»Ich habe noch eine Ãberraschung für Sie parat«, beendet Ibrahim das Gespräch. »Am Ausgang des Lagers werden Sie ein paar Ihrer Landsleute finden.« Die drei Deutschen wohnen in einem bescheidenen Container, der immerhin klimatisiert ist. Um sie Âherum sind die Karossen einer Vielzahl mächtiger, schrottreifer Lastwagen aufgereiht. Manchmal hilft es wohl, im Fernsehen aufzutreten. In diesem Falle fügt es sich tatsächlich, daà einer der Mechaniker in einer Sendung über Entwicklungshilfe gemeinsam mit mirdiskutiert hatte. Das Wiedersehen in so ferner Region schafft Brüderlichkeit und Vertrauen. Bei diesen einsamen Männern handelt es sich um echte Pioniere des Aufbaus und nicht um irgendwelche menschenbeglückenden Snobs. Wenn ich die Mechaniker recht verstanden habe, sind sie im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Darfur tätig, um den Fuhrpark der afrikanischen Schutztruppe einigermaÃen instand zu halten.
Ihr Aufenthalt in Abu-Shook sei ziemlich sinnlos und werde bald zu Ende gehen, gibt das Trio resigniert zu. Die verschiedenen Grünhelm-Kontingente der Afrikanischen Union hätten es binnen kurzer Zeit fertiggebracht, jedes ihrer Fahrzeuge so gründlich zu ruinieren und in Schrott zu verwandeln, daà eine Reparatur kaum noch Sinn mache, zumal an eine Zulieferung von Ersatzteilen nicht zu denken sei. Die auf sich selbst gestellten Deutschen haben ihr Bestes geleistet, aber ihre Tätigkeit läÃt sich wohl ebenso als »mission impossible« bezeichnen wie der völlig unsinnige Einsatz von vier oder fünf Bundeswehroffizieren im äuÃersten Süden des Sudans, denen man sogar das Tragen von Waffen untersagt hat.
Der hektische Einsatz der unterschiedlichen Hilfsorganisationen in Darfur wirkt auf die drei Deutschen von Abu-Shook, die
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