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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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die Reihe der »Terrorismusexperten« ein­reihen will, bin ich den geäußerten Verdächtigungen auch nicht nachgegangen. Es traf sich gut, daß Ibrahim es-Zayat, ein vornehm auftretender Mann, den man auf vierzig schätzen konnte, ein prominentes Mitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft war und mir mit Vertrauen begegnete.
    Es ist später Abend, als Ibrahim mir das Zeichen zum Aufbruch gibt.Die Zusammenkunft mit Scheikh Hassan el-Turabi ist nicht frei von konspirativem Flair. Immerhin gilt der Mann, den wir aufsuchen, bei westlichen Geheimdiensten als Schlüsselfigur der is­lamischen Revolution. Beim sudanesischen Präsidenten Omar el-Bashir, dessen Machtergreifung er vor zwanzig Jahren begünstigte und mit der Formierung einer »National-Islamischen Front« durch eigene, religiös inspirierte Milizen gestärkt hatte, ist Turabi in Ungnade gefallen. Dieser Bruch hat sich dramatisch vertieft, seit der »Docteur« eine starke oppositionelle Anhängerschaft in Darfur sammeln konnte.
    Der Fahrer, der uns durch die Dunkelheit eines gepflegten Vorortes steuert, steht der Organisation Turabis nahe und bezeichnet sich selbst als Muslimbruder. Er kennt seinen Patron. »Ich hoffe, Sie werden beim Gespräch überhaupt zu Wort kommen, und erwarten Sie keine zu deutlichen Aussagen«, warnt er mich lächelnd. »Der Scheikh ist schlau wie ein alter Fuchs.«
    Präzis zur vereinbarten Zeit betritt Turabi den weiß getünchten, geräumigen Audienzraum. Ich begegne ihm nicht zum ersten Mal. Schon 1994 hatte ich mit ihm diskutiert, und ich wundere mich, wie wenig der schmächtige, relativ hellhäutige Sudanese mit dem kurzgeschnittenen, eisgrauen Backenbart und der großen Hornbrille, der in die weiße Tracht seiner Landsleute gekleidet ist, sich seitdem verändert hat.
    1994 hatte ich notiert, daß dieser sunnitische Prediger aus dem Sudan in keiner Weise mit dem schiitischen Ayatollah Khomeini verglichen werden kann. Im Gegensatz zum wortkargen Gründer der Islamischen Republik Iran ergeht sich Scheikh Turabi in pausenlosem Monolog. Er neigt sogar zur Geschwätzigkeit. Während die Gesichtszüge des schiitischen »Imam« stets in steinerner Strenge erstarrt waren, trägt der Sudanese ein fröhliches Lächeln zur Schau, das seine gelblichen Zähne entblößt. Die klugen Augen hinter der Brille – manche sagen, sie seien blau – sind in ständiger, listiger Bewegung. Der Mann ist schmächtig gewachsen und dürfte zwischen siebzig und achtzig Jahre alt sein. Aber er bewegt sich flink und geschmeidig. Seinerzeit hatte er in einem kleinen, kahlen Arbeitsraumamtiert und seinen asketischen Lebenswandel betont. An der Wand war lediglich eine Landkarte Bosniens angeheftet, wo im Jahr 1994 die dort heimischen Muslime gegen Serben und Kroaten einen Überlebenskampf zu bestehen hatten.
    Nur in einem Punkt schien Turabi mit dem Ayatollah Khomeini übereinzustimmen, in seiner Ablehnung des Hauses El Saud, das über Arabien herrscht. Als ich den Gründer der Islamischen Re­publik Iran – es war noch während seines Exils in Neauphle-le-Château – gefragt hatte, ob er mir einen Staat nennen könne, dessen Religiosität seinen Ansprüchen genüge, ob etwa Saudi-Arabien dafür in Frage käme, hatte er schroff geantwortet: »Saudi-Arabien ist kein islamischer Staat.« Ähnliches dachte wohl auch der sudanesische Scheikh Turabi, wenn er seine Meinung auch weniger kategorisch ausdrückte.
    Der Lebenslauf Hassan el-Turabis ist ziemlich einmalig für einen militanten Islamisten. Als Sohn einer wohlhabenden Familie, die über umfangreiche Baumwollfelder verfügte, wurde er in Kassala, unmittelbar an der Grenze Äthiopiens, geboren. Sein juristischer Studienweg führte ihn über die Universität Khartum nach London, von wo er 1959 nach Paris übersiedelte. Dort erwarb er im Jahr 1964 einen Doktortitel der »Faculté de Droit«. Dieser westliche Bildungslauf verlieh ihm zusätzliches Prestige, das durch die Heirat mit einer Schwester seines politischen Gegners Sadiq el-Mahdi noch erhöht wurde.
    Dennoch wirkt es grotesk, daß dieser skuril auftretende, heitere Greis, den ein französischer Kollege seinerzeit als »cabotin«, als Schmierenkomödianten, als typisches Exoten-Produkt des Quartier Latin abqualifizierte, die Supermacht USA zutiefst

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