Arabiens Stunde der Wahrheit
Diese altchristliche Kunst, die jäh mit der Unterwerfung durch die Korangläubigen im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert erloschen ist, stellt die Angehörigen der Heiligen Familie mit strahlend weiÃen Gesichtern dar, während selbst die nubischen Prinzen dunkelhäutig auftreten.
Es muà einen langen Prozeà religiöser Ãberlagerung gegeben haben, denn Ibn Battuta erwähnt das Gesuch einer christlichen Gemeinde an ihren muslimischen Emir, eine koptische Kirche zu bauen. Der Lehre des Propheten gemäà wurde die Genehmigung erteilt unter der Bedingung, daà die von den »Schriftbesitzern« geforderteKopfsteuer in voller Höhe entrichtet würde. Am Rande sei erwähnt, daà die koptischen Mönche der christlichen Klöster mit der damals häufig praktizierten Kastration schwarzer Sklaven beauftragt waren. Es war eben eine grausame Zeit, aber das Abendland hat keinen Grund zur Ãberheblichkeit, wurde doch bis in die Neuzeit eine Anzahl Sängerknaben der Sixtinischen Kapelle einer ähnlichen Amputation unterzogen, um den hellen Wohlklang ihrer Stimmen bis in das Mannesalter zu erhalten.
Unser Reisender hatte pedantisch aufgeführt, was ihm bei den zum Islam bekehrten Afrikanern der Niger-Schleife gefiel und was ihm miÃfiel. Belobigt wurde bei den Schwarzen der stark ausgeprägte Gerechtigkeitssinn und die Sicherheit, die im Mali-Reich für Reisende herrschte. Auch die Frömmigkeit der »Sudan« erkannte er an, die Exaktheit ihrer Gebetsausübung, ihre weiÃe ÂKleidung an muselmanischen Feiertagen und ihr Bestreben, den Heiligen Koran auswendig zu lernen. Hingegen zeigte sich der Chronist schockiert über die Nacktheit der Sklavinnen in der ÂÃffentlichkeit, über die Gewohnheit der Neger, sich in Gegenwart des Herrschers Staub und Asche auf das Haupt zu streuen, über die Rüpelspiele bei Hof und vor allem über die Unsitte der EingeÂborenen, verwestes Fleisch sowie Hund und Esel zu verspeisen.
Im Ton der Befremdung schilderte Ibn Battuta ein grausiges Erlebnis: »Der Sultan Mansa Zuleiman empfing eine Abordnung von Kannibalen. Diese Wilden trugen riesige Ohrringe. Der Sultan ehrte diese Männer, indem er ihnen eine Dienerin als Gastgeschenk übergab. Die Neger brachten sie um und fraÃen sie auf. Sie beschmierten ihr Gesicht und die Hände mit dem Blut der Sklavin und bedankten sich beim Herrscher ⦠Man erzählte mir, daà diese Kannibalen die Hand und Bruststücke der Frauen als besondere Leckerbissen schätzen â¦Â« Das Fleisch von WeiÃen hingegen, so hieà es, war weniger geschätzt, weil ihm die rechte Würze fehlte.
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Alsich das erste Mal im Sommer 1956 â mit der Eisenbahn von Luxor anreisend â in der Hauptstadt Ãgyptens eingetroffen war, gärte ganz Nordafrika im Fieber des arabischen Nationalismus. Im Jahr 1952 hatten die »Freien Offiziere« den dekadenten König Faruk des Landes verwiesen. Seit November 1954 war der Aufstand der Algerischen Befreiungsfront gegen den Anspruch Frankreichs ausgebrochen, die drei »Départements« Algier, Oran und Constantine zu integrierten Bestandteilen des Mutterlandes zu machen. Es sollte eine durchgehende Nation zwischen Dünkirchen und Tamanrasset entstehen, obwohl sich in diesem nordafrikanischen Atlas-Land jenseits des Mittelmeers acht Millionen »Français musulmans« und eine Million europäischer Kolonisten, die sogenannten »pieds noirs«, unversöhnlich gegenüberstanden. Zur gleichen Zeit war im benachbarten Marokko der Versuch des französischen Generalresidenten Guillaume gescheitert, der Unabhängigkeitsforderung des vom Volk wie ein Kalif verehrten Sultans Mohammed V. durch die Berufung eines schwächlichen Usurpators zu Âbegegnen, der das Protektorat der Vierten Republik weiterhin akzeptiert hätte.
Ich verdankte es Jean Lacouture, einem renommierten Journalisten und Schriftsteller, daà ich in Kairo mit Exilpolitikern aus dem Maghreb, die bei Gamal Abdel Nasser mit offenen Armen aufgenommen wurden, wiederholt im legendären »Café Groppi« am Qasr el Nil zusammentraf und einige Einblicke in deren verschwörerische Aktivitäten erhielt. Es waren durchaus umgängliche Männer. Die Algerier unter ihnen ahnten wohl nicht, daà die Unabhängigkeit ihres Landes, die sie nach acht Jahren eines extrem blutigen Partisanenkrieges erringen
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