Arabiens Stunde der Wahrheit
Das globale Werk Ibn Battutas läÃt sich zwar nicht vergleichen mit den profunden Analysen seines maghrebinischen Zeitgenossen Ibn Khaldun, des Vaters der Soziologie, wie die Araber sagen. Dieser schildert kritisch und glaubhaft die Strukturen der mittelalterlichen Staaten des Dar-ul-Islam und die Gesetze ihres Verfalls. Er gilt heute noch als wissenschaftliche Autorität. Auch er stellte seine Reflexionen über das »Balad-el-Sudan«, das Land der Schwarzen, an, dessen barbarischer Zustand ihn abstieÃ. Die ersten Araber und Berber, die jenseits der Sahara Kontakt zu heidnischen Götzenanbetern und ihren bluttriefenden Riten aufnahmen, müssen sich vorgekommen sein wie die neuzeitlichen Erforscher der ozeanischen Tiefen, die in der Finsternis dieser Abgründe auf schreckerregende Kreaturen stoÃen.
Bei der Lektüre beider Autoren stellt man jedoch fest, daà sich in der weltweiten islamischen Gemeinschaft der Sunna schon bald einebemerkenswerte Homogenität herausgebildet hatte. Mag die Hinterlassenschaft des Propheten sich auch in divergierenden Deutungen, ja in flagranten Abweichungen äuÃern, eine profunde Einheitlichkeit hat sich sehr schnell eingestellt. Wie anders lieÃe sich erklären, daà der Rechtsgelehrte Ibn Battuta in so weit zerstreuten Gegenden wie den Malediven im Indischen Ozean, im Bulgar-Emirat an der mittleren Wolga, an der Niger-Schleife von Timbuktu bis hin zu den Ufern des Indus seine geistliche Tätigkeit als Qadi, als Richter, ausüben und allgemein anerkannte Urteile im Sinne der Scharia fällen konnte.
Ein Globetrotter namens
Ibn Battuta
Unser Rückflug von Khartum nach Europa wird durch einen neuen Sandsturm verzögert. So verharre ich also in meiner Karawanserei und blättere in den Berichten, die Ibn Battuta vor siebenhundert Jahren dem Sudan gewidmet hat. Es waren die letzten Stationen eines unermüdlichen Vagabundenlebens. Der afrikanische Sahel war damals bis zum Tschad-See dem Thron von Fez zugewandt. Ãstlich davon war er von der kriegerischen Mameluken-Heerschar des Nildeltas locker und sporadisch unterworfen.
25 Jahre lang hatte Ibn Battuta die Welt bereist. Vor seiner letzten Expedition in den Sudan hatte er sich ehrerbietig von Sultan AbuâInan â »Gott möge ihm seine Gunst schenken« â verabschiedet. Am 18. Februar 1352 â das war 753 der Hijra â war er mit einer stattlichen Kamelkarawane in Richtung auf den Sahel aufgebrochen. Das Wort »Sahel« läÃt sich übrigens aus dem Arabischen mit »Ebene« oder auch mit einer gewissen »Leichtigkeit im Leben« übersetzen. So manche Beobachtung, die Ibn Battuta in den folgenden Monaten festhielt, habe ich noch selber wahrnehmen können, so die Salzgewinnung durch die Nachkommen schwarzer Sklaven,die extreme Schwierigkeit der Orientierung im Sandmeer südlich von Tamanrasset, die Verschlossenheit der Mzab-Oase von Ghardaya, die â von Berbern bewohnt â der häretischen Sekte der Ibaditen oder Khawarij anhängt. Kurioserweise haben die Ibaditen an der äuÃersten Südostküste der arabischen Halbinsel im Sultanat Oman bis heute ihren religiösen Schwerpunkt bewahrt. Auch von der Plage der Flöhe ist bei dem Maghrebiner die Rede, die zu jener Zeit angeblich durch in Quecksilber getauchte Fäden ferngehalten wurden.
Die Mehrzahl der am Rande des Sahel lebenden Völkerschaften war bereits oberflächlich zum Islam bekehrt, aber ihre Häuptlinge benahmen sich oft abweisend gegenüber den fremden Besuchern aus dem Norden. »In solchen Fällen bedauerte ich, mich ins Land der Neger begeben zu haben, die über eine mangelhafte Erziehung verfügen und den âºweiÃen Männernâ¹, den âºBeidanâ¹, nicht den gebührenden Respekt zollen«, beschwerte er sich.
Die maurischen Geographen und Eroberer jener Zeit waren noch nicht weit genug vorgedrungen, um die beiden groÃen Ströme Nil und Niger voneinander zu unterscheiden. Die Entdeckung der Quellen des Nils â »caput Nili quaerere« â sollte sich bis ins späte neunzehnte Jahrhundert verzögern. Im Umkreis des Zusammenflusses von WeiÃem und Blauem Nil, in der sogenannten Jazira, so erfahren wir, behaupteten sich damals christlich-koptische Fürstentümer. Das wird belegt durch die Fresken und Ikonostasen, die heute noch im Museum von Khartum zu besichtigen sind.
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