Arabiens Stunde der Wahrheit
sollten, ihnen persönlich zum Verhängnis würde. Um nur zwei Beispiele zu erwähnen, der Schatzmeister des »Front de Libération Nationale« Mohammed Khider wurde in Madrid und der rauhe Kabylen-Führer Belkacem Krim in einem Frankfurter Hotel durch Meuchelmord beseitigt. Sie fielen nicht einem Attentat des französischen Geheimdienstes zum Opfer, sondern den internen Fraktionskämpfen und Rachegelüsten ihrer eigenen Mitstreiter von der Befreiungsfront.
Einsolch tragisches Schicksal blieb dem Führer der marokkanischen Istiqlal-Partei â Istiqlal heiÃt Unabhängigkeit â, dem gealterten Aristokraten Allal el-Fassi, erspart. Er gehörte einer der berühmtesten Familien des Sultanats an. Mit seinem weiÃen Bart und den blauen Augen strahlte er eine Autorität aus, der auch der alawitische Hof in Fez Rechnung tragen muÃte. Interessant und ambitiös war das politische Programm dieses maghrebinischen Nationalisten, der von den Franzosen ein paar Jahre lang nach Gabun verbannt worden war. Nach der Befreiung von der Bevormundung durch Paris beabsichtigte er, dem Sultanat Marokko und dem in Fez residierenden »Befehlshaber der Gläubigen« jenen Einfluà und jene gewaltige Ausdehnung bis weit in die südliche Sahelzone zurückzugeben, die ihm unter Berufung auf die Geschichte angeblich gebührte. Die legendäre Stadt Timbuktu stand im Zentrum dieses Anspruchs. Im Rückblick auf meinen Abstecher in die gegen Khartum revoltierende Provinz Darfur wurde mir bewuÃt, daà dieses Emirat tatsächlich weit intensiver durch marokkanischen Einfluà bestimmt wurde als durch die geographisch viel näher gelegene Attraktionsmasse Ãgyptens.
Der sunnitische Islam hatte in der ganzen Sahel- oder Sudan-Zone mannigfaltige Variationen entfaltet, aber auch eine profunde Kohäsion bewahrt, wie Ibn Battuta bestätigte. Das Kernland der heutigen Republik Sudan, das Sultanat Funj, war von den aus Kairo anrückenden Mameluken unterworfen und islamisiert worden. Die Mameluken waren ursprünglich als Kriegssklaven vornehmlich aus den kaukasischen Randgebieten des Osmanischen Reiches verschleppt worden, um die Dynastie der Ayyubiden mit einer verläÃlichen Elitetruppe auszustatten.
Ãhnlich war der Sultan von Istanbul ja auch auf dem Balkan vorgegangen, wo die kräftigsten christlichen Knaben ihren Familien im Zuge der »Devshirme« entrissen wurden, um dem Padischah als hochprofessionelle Heerschar der Janitscharen zur Verfügung zu stehen. Sie blieben entwurzelte Fremdlinge im türkischen Milieu und konnten deshalb keinen Anteil haben an den internen Intrigen und Machtkämpfen der osmanischen Dynastie und des Serail.
KeinWunder, daà die jeweiligen Häuptlingssippen, die in Darfur die Macht ausübten, tiefschwarze, kraftstrotzende Sklaven aus dem Bahr el Ghazal als Leibgarde zusammentrieben und durch Gewährung beachtlicher Privilegien als Instrument ihrer Hausmacht einsetzten. Die Herrschaft der ehemaligen kaukasischen Sklaven über das Niltal â aufgrund der lockeren Einverleibung Ãgyptens in das osmanische Imperium als »Turkiya« bezeichnet â sollte bis zur Landung Napoleons in Alexandria andauern, bis zur epischen Schlacht zu FüÃen der Pyramiden, die den Mameluken zum Verhängnis wurde. Im äuÃersten Westen des Maghreb, in Marokko, vertraut heute noch König Mohammed VI. der von seinen Vorfahren geschaffenen »Garde Noire â der Schwarzen Garde« seine persönliche Sicherheit an, auch wenn diese nicht mehr unter schwarzen Sklaven des Sudan, sondern unter besonders zuverlässigen Berber-Clans des Atlas rekrutiert wird.
Das Sultanat Darfur war schon sehr früh nach seiner Gründung unter den Einfluà des weit entfernten Maghreb geraten. Das lag vor allem an einer ständigen Migration und den Pilgerströmen aus Westafrika, die auf ihrem mühseligen »Haddsch« nach Mekka diese Route durch den Sahel angetreten hatten und sich häufig in der Umgebung von El Fasher niederlieÃen. Aus der koranischen Hochschule von Fez, der Karaouyine, und auch aus der tunesischen Zeituna-Universität wanderten koranische Schriftgelehrte, Ulama und Fuqaha ein, die die islamische Missionsarbeit vertieften und bereicherten.
Die Folge war, daà die heutige Provinz Darfur die Riten der im Maghreb vorherrschenden Rechtsschule oder »Madhhab« der Malekiten
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