Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
Vom Netzwerk:
fühlt sich der Mensch so klein und verloren wie in der Unendlichkeit der Wüste. Aber nirgendwo fühlt er sich auch so groß, so einmalig auserwählt, wie in der leblosen Einöde. Kein Wunder, daß in dieser Einsamkeit die monotheistischen Religionen entstanden. Soweit die rauhe Piste mit einer gewissen Regelmäßigkeit durch Fahrzeuge befahren wurde, formierte sich der Lateritboden aufgrund der Motorvibrationzu einer Art Wellblech, auf dem sich bei achtzig Kilometer Geschwindigkeit ohne allzu schmerzliche Erschütterungen zügig fahren ließ. Aber der Sand machte zu schaffen, der trotz des schützenden »Schesch«, den ich mir um den Kopf gewunden hatte, in die Haare, zwischen die Zähne, in die Augen drang. Die Oasen Ghardaya und El Golea hatte ich hinter mich gebracht. Doch nach Erreichen des Wüstenfleckens In Salah – zu deutsch »Quelle des Heils« – mit seinem schütteren Palmenhain wäre ich beinahe beim Vorstoß auf das südlichste algerische Verwaltungszentrum Tamanrasset steckengeblieben. Es fand sich kein Gefährt, das die extrem schwierige Strecke in Richtung auf die noch ferne Sahelzone unternehmen wollte.
    Ein glücklicher Zufall kam mir zu Hilfe. Nach gutem Zureden gelang es mir, mich einer geologischen Mission anzuschließen, die von der französischen Regierung zu Forschungszwecken in Richtung auf die heutige Republik Niger ausgeschickt worden war. Die kleine Gruppe war mit zwei Landrovern und einem Lastwagen unterwegs. Die jungen Wissenschaftler waren fröhliche, handfeste Burschen, die jede Gesteinsbildung instinktiv auf ihre mineralogische Zu­sammensetzung musterten. Je mehr wir uns dem Hoggar-Gebirge näherten, desto unwirklichere, phantastischere Formen nahmen die Steilhänge zu beiden Seiten der Piste an. Wie Atompilze ragten die Felsen auf. Tektonische Erschütterungen und der unermüdliche Wüstenwind hatten die seltsamsten Gebilde an den Horizont gezaubert, Kathedralenumrisse, die in rötliches Licht getaucht schienen, Moschee-Kuppeln, die bläulich widerstrahlten, erstarrte Saurier aus Granit. Dazwischen zogen sich nackte, schwarze Steinsträhnen, die wie Wegweiser zu einem Ort der Verdammung wirkten.
    Am späten Abend erreichten wir Tamanrasset. Der Ort bestand damals aus roten Lehmhütten, auf deren Wänden die Maurer – vielleicht aus irgendeinem Aberglauben – langgezogene Fingerspuren hinterlassen hatten. Der französische Offizier für Eingeborenenfragen empfing uns in weiten Pluderhosen und einem prächtig bestickten maurischen Umhang. Er lebte in seinem befestigten Bordsch mit einer kleinen Garde von Tuareg, Angehörigen des geheimnisvollenWüstenvolkes, die in früheren Abenteurerberichten als stolze, kriegerische Kamelreiter geschildert wurden. Ihr Antlitz verhüllten sie stets durch einen dunklen Schleier. Den Capitaine konnten die malerischen Figuren nicht beeindrucken. In seinem Verwaltungsbereich lebten noch sechstausend dieser »Fürsten der Sahara«.
    Â»Seit sie unter dem Zwang der ›pax franca‹ ihre Raubzüge gegen Karawanen und Oasen einstellen mußten und nicht mehr die seßhaften schwarzen Völker am Niger terrorisieren«, so meinte er, »ist eine seltsame Form der Resignation, ja der Apathie über sie gekommen. Sie finden sich mit den neuen Verhältnissen schwer zurecht. Ihre ehemaligen schwarzen Untertanen sind geschickter und beweglicher, wenn es gilt, sich den Errungenschaften unserer Modernisierung anzupassen.« Ein paar Kilometer entfernt halte sich übrigens der »Amenokal«, der Oberhäuptling oder König der Tuareg, auf. Aber der trete nur noch als pittoreske Repräsentationsfigur auf, die er gelegentlich offiziellen Besuchern aus Paris vorführe.
    Tamanrasset liegt 1400 Meter hoch und die Nacht war kalt. Im Gästehaus wurde uns Kamelfleisch serviert. An diesem Abend wurde sogar unter offenem Himmel ein Film gezeigt, eine Klamotte, die im achtzehnten Jahrhundert am Hof Ludwigs XV. spielte. Der Anblick der weißen Puderperücken und des höfischen Mummenschanzes löste bei den Tuareg- und Negerkindern, die trotz der Kälte halbnackt über die Lehmmauer spähten, unbändige Heiterkeit aus. Auf dem Heimweg zu unserer bescheidenen Bleibe begegneten wir einer Gruppe bewaffneter Tuareg. Sie spazierten wie Statisten zwischen den mageren Ethelbäumen, die wie verkrüppelte

Weitere Kostenlose Bücher