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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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wir in unterschiedlichen Richtungen auseinanderstreben, läßt Sayed el-Wali durch einen schwarzen Diener – das arabische Wort »Abid« bezeichnet hier weiterhin den Neger und den Sklaven – grünen Tee servieren, den er in winzigen Tassen persönlich ausschenkt. Dreimal müssen wir sie leeren. Der erste Trunk, so wird uns erklärt, sei »bitter wie das Leben«, der zweite »süß wie die Freundschaft«, der dritte »mild wie der Tod«.
    Die Sonne nähert sich dem Horizont, als wir das Zeltlager verlassen. Wir fahren auf die gelbe Scheibe zu, vor der sich der Führungs-Jeep wie ein Scherenschnitt abzeichnet. Nach ein paar Kilometern müßten wir die Grenze überschritten haben. In der Dämmerung erkennen wir Militärlager jenseits der Dünen und unendliche Schatten im Sand. Die Stunde ist feierlich, und die Dunkelheit fällt schnell. Früher als erwartet – wir müssen uns im Umkreis des marokkanisch besetzten Forts Mahbes befinden – machen unsere Sahrawi-Gefährten halt. Sie errichten ein provisorisches Lager. Gemeinsam mit den Nomaden drängen wir uns um das Feuer, das mit Akazienzweigen und Kameldung gespeist wird.
    Ein Schwarzer, der seine Kalaschnikow nicht aus der linken Hand läßt, reicht uns Tee, und dann essen wir aus einer Emailleschüssel unser Nachtmahl: kalte Nudeln, mit Ölsardinen vermischt. Das schmeckt sogar. Die Kälte schneidet uns ins Fleisch, und wir sind dankbar für die zusätzlichen Decken, die man uns bringt. Unter den Sahrawi beginnt eine endlose Beratung. Schließlich teilt uns ein bärtigerHüne zögernd und verlegen mit, daß wir unser Unternehmen hier abbrechen müßten. Auf seiten der Gegner seien unerwartet Verstärkungen eingetroffen, die unserem weiteren Vordringen den Weg versperrten.
    Ich habe mich abseits in eine Mulde gekauert und ergebe mich dem Zauber der Wüstennacht, der totalen Einsamkeit des Menschen zwischen Erde und Firmament. Wo anders als in der Wüste hat der Glaube an den Einzigen Gott seinen Ursprung nehmen können? Hier gibt es keine frivole Ablenkung, keine Versuchung, anthropomorphe Nebengötzen zu errichten, hier drängt sich der Monotheismus geradezu als mathematischer Zwang auf, und im Dornbusch, dessen helle Zweige sich vom Sternenhimmel abhoben, hatte sich dem Moses der Juden, dem Musa der Muselmanen, der Unaussprechliche offenbart. Der Sternenhimmel entfaltet sich mit magischer Klarheit. Die Venus leuchtet besonders hell. Mir fällt eine Legende der Tuareg ein. Demnach hatte eine Fürstentochter vor grauen Zeiten auf Anraten eines bösen Magiers ihren Vater als Sklaven verkauft, um vollkommene Schönheit zu erlangen. Zur Strafe sei sie als Gestirn, als Venus, in die eiskalte Flimmerferne des Weltalls verbannt worden.
    Sayed el-Wali sollte allzubald das Opfer der Sahara-Tragödie, seines eigenen Ehrgeizes und seines grenzenlosen Mutes werden. Wenige Tage nach unserer Begegnung unter dem Nomadenzelt stieß er mit einer Handvoll Krieger schnurstracks durch die Wüste 500 Kilometer nach Süden in Richtung auf Nouakchott vor. Er hatte die Hauptstadt Mauretaniens, die er wohl im Handstreich erobern wollte, mit Granatwerfern beschossen. Seine Truppe war von der französischen Luftaufklärung jedoch vorzeitig erkannt und durch eine marokkanische Interventionseinheit aufgerieben worden. Er selbst kam bei diesem Husarenritt ums Leben. Möge der Tod ihm ebenso mild erschienen sein wie der Tee, den er uns gereicht hatte.

Ägypten
    Enttäuschung am »Tahrir-Platz«
    Die Zufallsverschwörer der
Computerwelt
    Kairo, 1956–2010
    Denägyptischen Aufbruch, der am 25. Januar 2011 auf dem Tahrir-Platz explodierte, habe ich aus der Ferne, vor dem Fernsehapparat in Paris, miterlebt. Auch die ausführliche und insgesamt ausgewogene Berichterstattung des Senders »El Jazeera«, der im Emirat Qatar über eine erstaunliche Ausdrucksfreiheit verfügt, konnte natürlich die persönliche Präsenz an Ort und Stelle nicht ersetzen. Aber wem ist schon die Gabe der »Ubiquität« verliehen?
    Als kurioser, geradezu anachronistischer Höhepunkt dieses Tumults erschien mir das plötzliche Auftauchen einer Gruppe von Berittenen auf Kamelen und Pferden, die in die angestaute Masse der Protestierenden hineinpreschten und mit Stockschlägen auf sie eindroschen. Lange hat diese Episode nicht gedauert,

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