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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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auch den Heiden, üblich ist.
    Die feierliche Prozession schillert in allen Farben. Der Emir – hoch zu Roß – ist ganz in Weiß drapiert. Seine Palastwache ist hellrot uniformiert, und dazwischen mischen sich tiefgrüne Fahnen des Islam. Die Vornehmen seiner Umgebung hüllen sich in golddurchwirkte Gewänder, mit Varianten von smaragdgrün, hellblau, violett und schwarz. Pferde wie Reiter sind mit Eisenrüstungen, Helmen und Kettenpanzern ausgestattet, wie sie einst die Kreuzritter oder die Mameluken im Kampf um das Heilige Land trugen. Gegen die Sonne ist der Herrscher durch einen prächtigen Schirm und Büschel von Straußenfedern geschützt. Bei seinen Auftritten wird er auch oft von einem buckligen Hofnarren begleitet.
    Bei seinem Festzug durch die Stadt vermeidet der Emir, um seine Toleranz zu beweisen, auch das kleine Christenviertel nicht, das als »red light quarter« verschrien ist. Die meisten Einwohner sind aus Angst vor Pogromen nach Süden abgewandert. Die Christen im Emirat Kano machen nur noch ein Prozent der Bevölkerung aus. Aber auch hier stimmt das Volk ein Gebrüll von Lobpreisungen des Herrschers an. Ein Symbol der Unnahbarkeit soll der Emir bleiben, aber er will auch als höchster Schlichter den Schwachen zur Seite stehen und Toleranz üben. Andererseits kommt ihm zugute, daß sich das Gerücht hält, er habe den übelsten Militärdiktator Nigerias beseitigt, indem er ihm vergiftete Viagra-Pillen zukommen ließ.
    In seinen jungen Jahren soll der Sultan bei seinen Aufenthalten in England ein höchst unkonventionelles, frivoles Leben geführt haben. Aber die Geheimnisse des Serail, des Palastes von Kano, sind wohlgehütet. Dort soll der große Alhaji Ado Bayero über vier Ehefrauen und zwölf Konkubinen verfügen, die unter zweitausend »königlichenSklavinnen« ausgewählt wurden. Vor kurzer Zeit heiratete er die Tochter des neben ihm mächtigsten Fürsten des Nordens, des Sardauna von Sokoto, die gerade neun Jahre alt geworden war.
    Seit dem Jahr 2000 ist es in Nord-Nigeria fast täglich zu schweren interreligiösen Ausschreitungen gekommen. Zahlreiche Kirchen, aber auch Moscheen wurden abgebrannt. Der Haß zwischen den Konfessionen löste regelrechte Massaker aus, die in der Provinz Maiduguri und Sokoto zur systematischen Verdrängung der christlichen Minderheit führten. Mit Sorge blickt nicht nur die Regierung von Abuja auf die islamistischen Terroristen des Geheimbundes »Boko Haram«, was man mit »westlicher Lebensstil ist Sünde« übersetzen könnte. Boko Haram möchte ganz Nigeria der koranischen Rechtsprechung unterwerfen. Nach diversen Attentaten gegen Polizeistationen und Gefängnisse begann man diese Gruppe mit El Qaida und den Taleban zu vergleichen. Jedenfalls gewinnt sie ständig an Zulauf und rekrutiert ihre Anhänger – wie in so manchem anderen Land des Dar-ul-Islam – unter den Studenten und Arbeitslosen.
    Der Emir von Kano hat sich von diesen Extremisten deutlich di­stanziert und ließ es zu, daß im Juli 2009 das Hauptquartier von Boko Haram umzingelt und mehrere hundert Jihadisten getötet wurden. Der Nachfolger des achtzigjährigen Alhaji Ado Bayero könnte den Zeitpunkt erleben, an dem die Föderation Nigeria einer ähnlich dramatischen Spaltung entgegentreibt, wie sie im Sudan von Khartum gerade eingeleitet wurde. Der Sahel-Gürtel Afrikas wartet noch mit manch schmerzlicher Überraschung auf. »Ex Africa semper aliquid novi«, sagte man einst. »Aus Afrika kommt stets etwas Neues auf uns zu.« Nach einer langen Phase ahistorischer kontinentaler Lethargie hat in den letzten Monaten die alte lateinische Erkenntnis brennende Aktualität zurückgewonnen.
    Â»â€¦ mild wie der Tod«
    Tinduf, November 1980
    DerBeduinenführer Sayed el-Wali hat ein großes schwarzes Zelt in der Wüste aufschlagen lassen, weit von den Frauen, den Kindern und deren Lärm entfernt. Der Generalsekretär der Widerstandsbewegung Polisario empfängt uns, auf Teppichen gelagert, in einem Kreis von Stammesältesten und ehrwürdigen Greisen. Zwei davon hatten der Notabeln-Versammlung von El Ayun, der »Dschemaa«, angehört, die noch die spanischen Kolonisatoren ins Leben gerufen hatten. Im Zelt Sayed el-Walis geht es feierlich zu. Die Jugend dieses Mannes verblüfft mich – er ist erst

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