Arabiens Stunde der Wahrheit
Sahara-Truppen, was konnten die Elitesoldaten des »Tercio«, der spanischen Fremdenlegion, anderes tun angesichts der menschlichen Sturmflut, die sich ihren Stacheldrahtverhauen, Bunkern und Minenfeldern unaufhaltsam und opferbereit entgegenschob, als ihr den Weg freizugeben. Damit wurden all jene Zusagen zunichte gemacht, die die Regierung von Madrid und die lokale Kolonialverwaltung ihren Schutzbefohlenen gemacht hatten.
Sayed el-Wali lädt mich zu einer kurzen Besichtigungsfahrt ein. Er setzt sich selbst ans Steuer des Jeeps. Plötzlich ist er wieder ein ausgelassener Jüngling. Er gibt voll Gas, und das Fahrzeug vollführt waghalsige Kapriolen. Ich muà mich an den Sitz klammern, um nicht in den Sand geschleudert zu werden. Für die Nomaden des Polisario haben Jeeps und Pickups die Kamele ersetzt. Ihren Spaà am waghalsigen Reiterspiel, an der »Fantasia«, haben sie auf diese Benzinrösser übertragen.
Der Beduinenführer trägt unterdessen seine Ãberzeugungen vor, die mir recht bekannt vorkommen. Als islamische Revolutionäre seien die Polisario-Partisanen durchaus nicht auf die westlichen und atheistischen Denkmodelle des Marxismus-Leninismus angewiesen. Es genüge, zum Kern der muselmanischen Offenbarung zurückzukehren. Der reine, der ursprüngliche Islam sei sozialiÂstisch und absolut egalitär gewesen. Diese Idealvorstellungen, wie sie der Prophet Mohammed und die ersten Kalifen vorgelebt hatten, gelte es heute neu zu beleben. Der Aufstand der Sahara gegen denmarokkanischen Thron trage nicht nur arabisch-nationalistische Züge, er beschränke sich auch nicht auf die radikale Ablehnung aller Annexionsansprüche der Alawiten-Dynastie, sondern ihm liege zutiefst die Forderung nach religiöser Erneuerung zugrunde.
»Sie kennen sicher die Geschichte der Almoraviden, el Murabitun, wie wir sie auf arabisch nennen«, fährt der junge Guerillero fort, und plötzlich breitet sich ein Hauch von Verzückung über sein Gesicht. »Es waren fromme Männer der Wüste, die sich in ihren Klöstern, den âºRibatâ¹ nördlich des Senegal, verschanzt hatten, ehe sie die Stämme der West-Sahara, vor allem die verschleierten SanhaÂdscha, sammelten und wie ein Wirbelsturm nach Norden aufbrachen, wo die damaligen Fürsten Marokkos sich in Bruderkriegen erschöpften, dem wahren Islam den Rücken kehrten, dem Aberglauben und dem Sittenverfall erlagen. Die Almoraviden haben nicht nur die inneren Verhältnisse Marokkos total verändert und revolutioniert, sie sind als Mujahidin des Islam über die StraÃe von Gibraltar nach Spanien übergesetzt, haben in Andalusien die Herrlichkeit der arabischen Herrschaft wiederhergestellt und die christliche Reconquista um Jahrhunderte verzögert. Ãhnlich wie vor 900 Jahren die Murabitun, diese strengen Krieger Allahs, pochen auch wir heute an die südlichen Pforten des Scherifischen Reiches. Wir wollen nicht nur unsere Unabhängigkeit von Rabat erkämpfen, sondern in Marokko selbst einen morschen Thron stürzen, um auf seinen Trümmern den Gottesstaat der koranischen Gerechtigkeit zu errichten.«
Er erzählt mir, wie es seiner kleinen Truppe tatsächlich einmal gelungen war, bis in die reichen Phosphatgruben von Bu Kraa vorzustoÃen und die Steilküste des Atlantik zu erreichen. Ich stelle mir vor, wie diese Wüstenkrieger am Steuer ihrer Geländewagen stolz und triumphierend auf das unendliche Meer zu ihren FüÃen blickten, vergleichbar mit jenem fernen Eroberer Oqba Ben Nafi, der im siebten Jahrhundert den ganzen Maghreb in einem einzigen ÂEroberungsritt dem Islam unterworfen hatte und der, am Ufer des Atlantiks angelangt, das Pferd bis zur Brust in die Brandung trieb, denSäbel zum Himmel hob und, der Ãberlieferung zufolge, ausrief: »Im Namen Allahs, wenn der Ozean mich nicht daran hinderte, würde ich die Botschaft des Propheten noch weiter nach Westen tragen!«
Auf Anweisung Sayed el-Walis erhalten wir endlich die Genehmigung, eine Gruppe Sahrawi auf ihrem Streifzug in das ehemals spanische Gebiet zu begleiten. Das Unternehmen ist improvisiert, und es stimmt uns gar nicht fröhlich, daà unser Landrover zusätzlich zu unserem Kameragerät mit einem riesigen Benzinfaà befrachtet wird. Im Falle eines marokkanischen Tieffliegerangriffs wären wir in Form einer lodernden Fackel in die Gärten Allahs eingegangen. Bevor
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