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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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auserkoren habe und sich dabei auf eine hochbegüter­te Oligarchie stützen konnte, die man die »fetten Katzen« nannte.
    Die gebildeten Ägypter zögern nicht, ihre politische Meinung und ihren Überdruß an der Militärdiktatur zu äußern, die nunmehr dreißig Jahre andauert. Nur die wenigsten der Anwesenden vertraten die Ansicht, daß das Land, das zu seiner alten Bezeichnung »Misr« zurückgefunden hat, am Vorabend einer revolutionären Auflehnung stände. Im Jahr 2004 war es zwar zu einer Protestbewegung unter dem Namen »Kifaya« – mit anderen Worten »es reicht jetzt« – gekommen, die aber beim Volk mehr wegen des sinkenden Lebensstandards stattfand als aus demokratischem Antrieb. Außer ein paar Universitätsprofessoren, die einen großen »Showdown« voraussagten, äußerten die erfahrensten Ägyptenkenner, die teilweise über eine jahrzehntelange Kenntnis des Niltals verfügten und beinahe Ȋgyptisiert« waren, die Überzeugung, daß die kleinen Leute, die sich mit dem Nationalgericht aus Bohnen, mit dem »Ful«, zufriedengaben und für das Wort »Brot«, das im übrigen arabischen Raum »Chubz« genannt wird, den Überlebensausdruck »Esch«, das heißt »Leben«, gefunden haben, in einer Unterwürfigkeit verharren würden, die auf eine fünftausendjährige Geschichte zurückblickt.
    Auf diesem uralten Kulturboden verflüchtigen sich alle Gewißheiten. Seit das Niltal zum bevorzugten Ferienziel von Millionen europäischen Touristen wurde, findet die Welt der Pharaonen in den westlichen Medien eine Aufmerksamkeit und Bewunderung, wie sie nur in der Ȁgyptomanie« nach dem orientalischen Feldzug Napoleon Bonapartes in Frankreich aufgekommen war. Diese hatte sich sogar im Empirestil jener Epoche – man denke nur an die deutsche Botschaft in Paris, das Palais Beauharnais – manifestiert. Heute bewirkt eine ganze Serie von mehr oder weniger gelungenen Spielfilmen und Fernsehdokumentationen, daß die Namen Tuthmosis, Echnaton, Ramses II. dem breiten Publikum vertrauter sind als die Namen abendländischer Dynasten. Elizabeth Taylor in der Rolle der tragischen letzten Pharaonin Kleopatra hat vermutlich mehr dazu beigetragen als alle Ägyptologen, daß diese ferne, magische Welt solche Popularität genießt, obwohl sie bereits als letzte Herrscherin einer griechischen Dynastie, der Ptolemäer, vergeblich versuchte, die Einverleibung des Niltals in das Römische Weltreich zu verhindern.
    Es soll hier nicht der chaotische Ablauf geschildert werden, der nach der römischen, dann byzantinischen Fremdherrschaft die blühende Kulturmetropole Alexandria in einen Schauplatz konfessioneller Gegensätze verwandelte. Im Jahr 451 gipfelte der Dogmenstreit in einem kirchlichen Schisma zwischen der orthodoxen StaatskircheKonstantinopels und der christlich-koptischen Urgemeinde des Niltals. Wie damals üblich, hatten sich die gnostischen Differenzen an der gott-menschlichen Natur Christi und der Deutung der Dreifaltigkeit entzündet. Bis zum heutigen Tag bilden die Kopten, die der Autorität eines eigenen Papstes unterstehen, etwa ein Zehntel der achtzig Millionen Menschen zählenden ägyptischen Gesamtbevölkerung. Die Verwaltung des Niltals hatte nach der Spaltung des Römischen Imperiums so ausbeuterische und repressive Züge angenommen, daß es um 640 unserer Zeitrechnung einem kleinen, viertausend Mann starken Heer arabischer Beduinen gelang, die weit überlegene Streitkraft Konstantinopels zu besiegen. Die Mehrzahl der christlichen Kopten hatte sich in dem Kampf neutral verhalten, teilweise sogar für die arabischen Invasoren Partei ergriffen.
    Das Niltal unterstand von nun an den sukzessiven sunnitischen Kalifaten, genoß jedoch unter den jeweiligen Gouverneuren ein beachtliches Maß an Selbstverwaltung. Die muslimischen Eroberer waren von den Ureinwohnern nicht nur ohne jede Feindseligkeit empfangen worden, man begrüßte sie sogar als positive Alternative zu den Schikanen und der Raffsucht der Byzantiner. In einer späteren Chronik berichtete ein koptischer Christ, daß die koranische Verwaltungspraxis als Befreiung von der Grausamkeit, der Hinterlist, der unerträglichen Belastung empfunden wurde, die durch den Bevollmächtigten des Basileus von Konstantinopel ausgeübt wurde. Sogar die den

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