Arabiens Stunde der Wahrheit
auserkoren habe und sich dabei auf eine hochbegüterÂte Oligarchie stützen konnte, die man die »fetten Katzen« nannte.
Die gebildeten Ãgypter zögern nicht, ihre politische Meinung und ihren Ãberdruà an der Militärdiktatur zu äuÃern, die nunmehr dreiÃig Jahre andauert. Nur die wenigsten der Anwesenden vertraten die Ansicht, daà das Land, das zu seiner alten Bezeichnung »Misr« zurückgefunden hat, am Vorabend einer revolutionären Auflehnung stände. Im Jahr 2004 war es zwar zu einer Protestbewegung unter dem Namen »Kifaya« â mit anderen Worten »es reicht jetzt« â gekommen, die aber beim Volk mehr wegen des sinkenden Lebensstandards stattfand als aus demokratischem Antrieb. AuÃer ein paar Universitätsprofessoren, die einen groÃen »Showdown« voraussagten, äuÃerten die erfahrensten Ãgyptenkenner, die teilweise über eine jahrzehntelange Kenntnis des Niltals verfügten und beinahe Ȋgyptisiert« waren, die Ãberzeugung, daà die kleinen Leute, die sich mit dem Nationalgericht aus Bohnen, mit dem »Ful«, zufriedengaben und für das Wort »Brot«, das im übrigen arabischen Raum »Chubz« genannt wird, den Ãberlebensausdruck »Esch«, das heiÃt »Leben«, gefunden haben, in einer Unterwürfigkeit verharren würden, die auf eine fünftausendjährige Geschichte zurückblickt.
Auf diesem uralten Kulturboden verflüchtigen sich alle GewiÃheiten. Seit das Niltal zum bevorzugten Ferienziel von Millionen europäischen Touristen wurde, findet die Welt der Pharaonen in den westlichen Medien eine Aufmerksamkeit und Bewunderung, wie sie nur in der »Ãgyptomanie« nach dem orientalischen Feldzug Napoleon Bonapartes in Frankreich aufgekommen war. Diese hatte sich sogar im Empirestil jener Epoche â man denke nur an die deutsche Botschaft in Paris, das Palais Beauharnais â manifestiert. Heute bewirkt eine ganze Serie von mehr oder weniger gelungenen Spielfilmen und Fernsehdokumentationen, daà die Namen Tuthmosis, Echnaton, Ramses II. dem breiten Publikum vertrauter sind als die Namen abendländischer Dynasten. Elizabeth Taylor in der Rolle der tragischen letzten Pharaonin Kleopatra hat vermutlich mehr dazu beigetragen als alle Ãgyptologen, daà diese ferne, magische Welt solche Popularität genieÃt, obwohl sie bereits als letzte Herrscherin einer griechischen Dynastie, der Ptolemäer, vergeblich versuchte, die Einverleibung des Niltals in das Römische Weltreich zu verhindern.
Es soll hier nicht der chaotische Ablauf geschildert werden, der nach der römischen, dann byzantinischen Fremdherrschaft die blühende Kulturmetropole Alexandria in einen Schauplatz konfessioneller Gegensätze verwandelte. Im Jahr 451 gipfelte der Dogmenstreit in einem kirchlichen Schisma zwischen der orthodoxen StaatskircheKonstantinopels und der christlich-koptischen Urgemeinde des Niltals. Wie damals üblich, hatten sich die gnostischen Differenzen an der gott-menschlichen Natur Christi und der Deutung der Dreifaltigkeit entzündet. Bis zum heutigen Tag bilden die Kopten, die der Autorität eines eigenen Papstes unterstehen, etwa ein Zehntel der achtzig Millionen Menschen zählenden ägyptischen Gesamtbevölkerung. Die Verwaltung des Niltals hatte nach der Spaltung des Römischen Imperiums so ausbeuterische und repressive Züge angenommen, daà es um 640 unserer Zeitrechnung einem kleinen, viertausend Mann starken Heer arabischer Beduinen gelang, die weit überlegene Streitkraft Konstantinopels zu besiegen. Die Mehrzahl der christlichen Kopten hatte sich in dem Kampf neutral verhalten, teilweise sogar für die arabischen Invasoren Partei ergriffen.
Das Niltal unterstand von nun an den sukzessiven sunnitischen Kalifaten, genoà jedoch unter den jeweiligen Gouverneuren ein beachtliches Maà an Selbstverwaltung. Die muslimischen Eroberer waren von den Ureinwohnern nicht nur ohne jede Feindseligkeit empfangen worden, man begrüÃte sie sogar als positive Alternative zu den Schikanen und der Raffsucht der Byzantiner. In einer späteren Chronik berichtete ein koptischer Christ, daà die koranische Verwaltungspraxis als Befreiung von der Grausamkeit, der Hinterlist, der unerträglichen Belastung empfunden wurde, die durch den Bevollmächtigten des Basileus von Konstantinopel ausgeübt wurde. Sogar die den
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