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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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denn die Konter­revolutionäre wurden schnell aus ihren Sätteln gerissen und von der erzürnten Menge verprügelt. Mir war gleich die Vermutung gekommen, daß es sich bei dieser seltsamen Kavalkade nur um die Fremdenführer handeln könnte, die im Umkreis der nahen Pyramiden von Gizeh den Touristen auf die Tiere helfen und mit dem Geschäft als »Guide« ihr tägliches karges Brot verdienen. Seit es in Kairo und Alexandria brodelte, war der Zustrom ausländischer Urlauber versiegt,und die verzweifelten Fremdenführer waren über die jungen Unruhestifter aufgebracht, die sie um ihr bescheidenes Einkommen brachten. Zusätzlich ermutigt wurde diese »Fantasia« durch großzügige Geldspenden, die von Agenten des gefürchteten Sicherheitsdienstes an die Gegner des »Arabischen Frühlings« verteilt wurden.
    Was nun die Mentalität dieser einfältigen Männer betrifft, die sich bereitwillig in den Dienst der Polizei und des Diktators Mubarak stellten, so fiel mir eine Anekdote aus früheren Jahren ein. Als ich bei der ägyptischen Botschaft in Bonn – so lange liegt das zurück – ein Visum beantragte, war ich mit dem stark okzidentalisierten Kulturattaché ins Gespräch gekommen. Er berichtete mir von einem auch für ihn befremdlichen Vorfall, als er seinen Kindern die Zeugnisse pharaonischer Größe zeigen wollte und mit dem Kameltreiber von Gizeh ins Gespräch kam. »Du bist doch Ägypter?« hatte der Fremdenführer gefragt, »und Muslim bist du auch?« Als der ägyptische Diplomat dies bejahte, wurde er vorwurfsvoll darauf verwiesen, daß es einem Jünger des Propheten Mohammed nicht anstehe, seine Söhne mit diesem heidnischen Götzenwerk, mit den gigantischen Zeugnissen aus der Zeit der »Unwissenheit«, der Gottlosigkeit, der »Jahiliya«, vertraut zu machen, wo doch das Heil der Menschheit erst mit der Verkündung des Heiligen Korans begonnen habe.
    Nur ein paar Monate vor den inzwischen legendären Ereignissen am Tahrir-Platz hatte ich mich in Kairo aufgehalten. Obwohl diese Metropole an ihrer Einwohnerzahl geradezu erstickt, hat sie ihre Anziehungskraft, ihren magischen Charme nicht verloren, auch nicht in jenen Vierteln zwischen El Azhar und dem Nil, wo es an Elektrizität und fließendem Wasser mangelt, wo der Stuck von den Häuserfassaden bröckelt, die kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen scheinen. Viele Prachtbauten aus der Khedive-Zeit, mächtige Etagenhäuser im orientalischen Jugendstil sind wie von Lepra befallen, wecken eine pathetische Untergangsstimmung. Aber selbst an diesen Stätten des Elends, wo die Ärmsten auf der Suche nach einer Unterkunft sich in den Mausoleen einquartieren, die die Mameluken einst zu ihrem Ruhm und im Widerspruch zur muslimischenRegel, dem Toten eine bescheidene Grabstätte zuzuweisen, errichteten, ist bei mir niemals das Gefühl persönlicher Unsicherheit aufgekommen.
    Die Ägypter sind wohl das liebenswerteste und gastlichste Volk, das mir im ganzen Orient begegnet ist. Im marmorglänzenden Luxushotel am Nil mit seiner Klimaanlage und den verchromten Fahrstühlen kehrt man vom städtischen Ausflug in einen Bunker des Komforts, in eine Fluchtburg des Wohlstands zurück. Mir war allerdings aufgefallen, daß die Polizeikräfte – in engsitzenden schwarzen Uniformen, mit Stahlhelm und aufgepflanztem Bajonett ausgestattet – in den letzten Wochen verstärkt worden waren, ganz zu schweigen von den Agenten der allgegenwärtigen Geheimdienste, der »Mukhabarat«, die jede Oppositionsregung gegen die pharaonische Präsidentschaft des Generals Hosni Mubarak im Keim ersticken sollten.
    Beim Bankett, das an einem jener Abende eine Reihe einheimischer Intellektueller versammelte – deren gibt es viele und durchaus bemerkenswerte in Kairo –, kommt unweigerlich das Gespräch auf die Stabilität eines Regimes, das den Staatschef bei jedem Urnengang mit dem phantastischen Ergebnis von 92 bis 97 Prozent im Amt bestätigt, während dessen Gefolgschaft, die »National-­Demokratische Partei«, über ein Quasi-Monopol im Parlament verfügt. In letzter Zeit wurde viel über den kritischen Gesundheitszustand des »Rais« gemunkelt, der sich unter anderem in Deutschland ­behandeln ließ. Es hieß auch, daß er bereits als Nachfolger ­
sei­nen Sohn Gamal

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