ARALORN - Der Verrat (German Edition)
sieht«, fuhr Wolf fort, »wird er mit Sicherheit alles daransetzen, mich zu vernichten. Das ist der Grund dafür, warum ich die meiste Zeit als Wolf herumrenne, diese Gestalt ist mein bester Schutz.«
Nachdem der Wind abgeflaut war, hatte er nur mehr mit den Baumkronen gespielt, doch jetzt, da die Sonne allmählich unterging und ihre Wärme mit sich nahm, frischte er wieder auf. Unfähig, unter all den Stimmen eine einzelne auszumachen, vermochte Aralorn dem Gespräch nicht mehr zu folgen. Mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck ließ sie ihre Hand unter Wolfs Ellbogen gleiten und hielt aus Angst, dass nur mehr das in ihrem Kopf widerhallende Gekreische hervorschallen würde, ihren Mund.
Wolf schaute sie an und sagte etwas zu Halven.
Der Bussard neigte den Kopf und nickte ruckartig. Im nächsten Moment erhob er sich flügelschlagend in die Lüfte.
Wolf wartete, bis der Bussard außer Sicht war und wandte sich dann wieder Aralorn zu. Der Wind pfiff heulend durch die Bäume, ließ Wolfs Umhang flattern und knallen, als er sie an sich heranzog und das Cape um sie schlang.
»Was ist, Liebste?«, fragte er. Seine rau-samtene Stimme drang durch das in ihrem Kopf tönende Chaos.
»Der Wind«, flüsterte sie. »Es ist der Wind. Ich kann sie hören .«
»Sie?« Stirnrunzelnd schaute er sie an. »Wen kannst du hören?«
»Stimmen.« Plötzlich wirkte er besorgt, und sie versuchte es besser zu erklären. »Eine Nachwirkung des Jaulerblicks, schätze ich.«
Er sagte nichts darauf; die Wärme seines Körpers und seine starken Arme gaben ihr Trost. Sie wusste nicht, wie lange sie so dagestanden hatten, doch als der Wind schließlich nachließ, war der Himmel merklich dunkler geworden und hatte leichter Schneefall eingesetzt.
Sie zog sich ein kleines Stück zurück und sah Wolf in die bekümmerten Augen. »Bei den Händlerclans sagt man, wenn ein Mann verrückt wird, dass er dem Wind lauscht. Ich wollte immer schon wissen, was der Wind wohl erzählt.«
Wolf nickte langsam. »Ich hab gehört, dass es bei den Händlern noch eine andere Redensart gibt – möge deine Straße immer frei sein, dein Magen immer voll und sich nie erfüllen, was du dir wünschst.«
Sie brachte ein Grinsen zustande. »Denk dir nur, was für Legenden sich daraus stricken lassen … die Frau, die den Wind hören konnte – hat ’nen gewissen Rhythmus, findest du nicht?«
»Wahrscheinlich wohl eher die Frau, die den Winter nicht überlebte, weil sie nicht lange genug die Klappe halten konnte, um aus der Kälte zu kommen«, verpasste Wolf ihrem kreativen Eifer einen Dämpfer.
Ihr Lächeln wurde wärmer, echter. »Ein solch schmachvolles Schicksal gilt es auf alle Fälle zu vermeiden.« Mit einer großartigen Geste wies sie auf das Gestrüpp, das den alten Pfad bedeckte. »Also ab durch die Mitte, auf zur Feste des Löwen.«
Er deutete eine leichte Verbeugung an. »Dürfte ich dir vielleicht vorher noch deine Messer wiederholen?«
»Ja, sicher, natürlich«, erwiderte sie, als hätte sie es keineswegs völlig vergessen. Nachdem Wolf die Klingen gesäubert hatte, steckte sie die Messer zurück in die Scheiden und stapfte alsdann weit ausschreitend hinaus in den Wald.
Ihr Elan wurde ein wenig durch die hüfthohen jungen Espen und die fast ebenso hohen Schneeverwehungen gebremst, doch ihre Stimmung hob sich nichtsdestotrotz – wie viele Leute konnten schon von sich behaupten, einem Jauler begegnet zu sein und überlebt zu haben? Und die anhaltende Abwesenheit des Windes trug das Ihrige zu ihrer wiedererwachenden Zuversicht bei.
Als sie die Burg erreichten, schneite es schon wieder heftiger, und Aralorn war froh, Wolf bei sich zu wissen, auf dessen Augen sie sich mehr verlassen konnte als auf ihre eigenen, kläglicheren Sinne – er hatte, kaum dass die Feste in Sicht gekommen war, wieder seine tierische Gestalt angenommen. Ohne irgendwelche lästigen Fragen zu stellen, gewährten die Wachen am Burgtor ihr Einlass.
Sie nahm sich die Zeit, ihren Umhang auszuschütteln und Wolf den ärgsten Schnee aus dem Fell zu wischen, bevor sie die schwere Tür zur Feste öffnete. Im gleichen Moment, als ihr die Wärme des großen Feuers in der Halle entgegenschlug, landete von hinten ein Rotschwanzbussard auf ihrer Schulter. Den überraschten Gesichtsausdruck der Diener ignorierend, setzte sie sich den Vogel auf einen ihrer durch die dicke Kleidung geschützten Unterarme und gab ihren Umhang ab. Sofort erklomm der Bussard ihren Arm und okkupierte wieder den
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