Arbeit und Struktur - Der Blog
selbstgeschriebenen Wikipediaeinträgen: “Für Aufsehen sorgte Bönts Auftritt beim Bachmannpreis 2009, wo er einen artistischen Text über Heinrich Hertz vorlas, dessen Erzähler ein Phonon ist. Da die Jury es nicht von einem Photon unterscheiden konnte, griff Bönt in die Diskussion ein, obwohl Autoren in Klagenfurt nach einem ungeschriebenen, noch aus der Gruppe 47 stammenden Gesetz eigentlich schweigen sollen. Sichtlich amüsiert erklärte Bönt der überforderten Jury den Unterschied von Licht und Schall.”
25.9. 2010 13:39
Mein Vater ruft an, weil er den ersten Roman seit Jahren oder Jahrzehnten gelesen hat. Und er war begeistert. Es habe ihn in seine Schulzeit zurückversetzt.
4.10. 2010 10:19
Bekomme mit, daß der Verlag Bloglink mit Psychiatrisierungseintrag als Werbemittel rumschickt. Wahnsinn. Und nein, das ist nicht mit mir abgesprochen.
Rückblende, Teil 1: Das Krankenhaus :
Der gesamten Rückblende soll ein Zitat von Freud voranstehen: “Durch Worte kann der Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben.” Was auf Anhieb nicht nach der tiefsten seiner Weisheiten klingt, eher nach etwas, worauf auch Pfarrer Sommerauer mit ein wenig Glück hätte kommen können. Aber wenn man eine Ahnung hat, was Freud meinte, kann man das ruhig so stehenlassen. Und wenn man keine Ahnung hat, bekommt man sie vielleicht hier. Ich habe sie jedenfalls bekommen.
Es beginnt im Februar mit fünf Bier und einem Kater am nächsten Tag, Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen halten die Woche über an, und ich schleppe mich nachts zu den Resten abgelaufener Schmerzmedikamente, die noch im Haus sind, und werfe sie der Reihe nach in zunehmender Stärke ein, beginnend beim Aspirin. Nichts wirkt. Ich bin zu keinem Zeitpunkt davon überzeugt, daß es am Haltbarkeitsdatum liegen könnte. Was ein deutsches Medikament ist, das wirkt auch noch zehn Jahre später, sage ich mir.
Tagsüber habe ich mit der linken Hand – wie zuletzt oft – meine Teetasse umgekippt und in die Tastatur geschüttet, so daß mein Computer nicht funktioniert. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal krank gewesen zu sein bei gleichzeitigem Ausfall des Computers: Selbstdiagnose ohne Wikipedia unmöglich. Was der Brockhaus an schütterem Wissen von Migräne über Gehirnerschütterung bis Hirntumor bereithält, reicht nicht mal, um hypochondrisch zu werden. Ich gehe zurück ins Bett. Die Kopfschmerzen verschwinden und kommen heftiger wieder.
Weil ich gleichzeitig neurologische Ausfälle erinnere (zweimal mit der linken Schulter an einer Säule hängengeblieben, einen halben Meter vor den Stuhl gesetzt), gehe ich schließlich zum Hausarzt. Der schickt mich ins Bundeswehrkrankenhaus, weil es dort am schnellsten gehe, anderswo warte man oft drei Monate auf ein MRT. Ich laufe zu Fuß. Im Bundeswehrkrankenhaus holt man zuerst einmal die Kopfschmerzen mit Maxalt runter, einem Migränehammer, und diagnostiziert anschließend eine Sinusitis, die Ausfälle paßten zum Krankheitsbild.
Drei Nächte später sind die Kopfschmerzen erneut so schlimm, daß ich auf die Öffnung der Arztpraxen warte. Ich kotze meinem Hausarzt das Waschbecken voll und kriege einen Krankentransport ins Bundeswehrkrankenhaus. Den Dr. S. kenne ich jetzt ja schon, drei oder vier andere Ärzte testen meine Ausfälle. Am Ende bleibt es bei Sinusitis. Verbissen gehe ich den Weg vom Krankenhaus zu Fuß zurück, so schlimm kann es gar nicht sein, daß ich nicht mehr laufen könnte, und mache den Umweg über den Hauptbahnhof, wo es eine rund um die Uhr geöffnete Apotheke gibt.
Als ich zu Hause ankomme, glaube ich zuerst, sie haben mir das falsche Medikament verkauft, das erste Wort, das ich auf dem Beipackzettel für Amitriptylin lese, ist “Suizidgedanken”. Aber hilft wohl auch gegen Kopfschmerzen.
Jedenfalls bei manchen. Bei mir nicht. Als ich zwei Nächte später auf Toilette gehe, ergreift mich Schwindel, und ich falle um. Beim Versuch, wieder aufzustehen, kann ich das Gleichgewicht nicht halten. Beim Versuch, auf allen vieren in mein Bett zurückzukriechen, kippe ich zur Seite. Schließlich robbe ich flach auf dem Bauch wie ein Soldat unter Stacheldraht hindurch zum Telefon. Zum ersten Mal in meinem Leben wähle ich 110, und sofort setzt starke seelische Beruhigung ein durch den streng formalisierten Ablauf des Gesprächs. Kopfschmerzen, Sinusitis, Amitriptylin – ich spüre, daß mein Gegenüber zweifelt. Umfallen, auf den Bauch und nicht wieder aufstehen
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