Arbeit und Struktur - Der Blog
Wort.
Zum ersten Mal begegne ich meinem Verlagschef Gunnar Schmidt und scheitere noch mehr als sonst am Smalltalk, überfalle ihn mit meinem nächsten unausgegorenen Projekt und bringe keinen Satz des Lobes über Franzen sinnvoll zu Ende, obwohl es mir so am Herzen liegt.
19.9. 2010 21:59
Letzte Harald-Schmidt-Sendung online, wahnsinnig groß. Ich fand ihn ja immer toll. Toll, als er Gala machte, toll mit Feuerstein, als er zu Sat.1 ging, als er Andrack auf die Bühne setzte, toll nach seiner langen Pause und mit Bart, als er Pocher holte, ich fand ihn jedesmal wieder toll, und das ist mir hauptsächlich in Erinnerung geblieben, weil man mit dieser Position zunehmend allein dastand. Das Feuilleton fand ihn auf jeder Station schlechter als vorher, und bei den meisten Freunden hatte ich den Eindruck, sie guckten Schmidt schon lange nicht mehr. Aber man muß sich nur mal diese letzte Sendung ansehen. Ranga Yogeshwar erzählt Sarrazin einen Judenwitz: unfaßbar.
Merkwürdigen Interviewausschnitt wiedergefunden: “Ob Sie Atheist sind, wird sich noch zeigen. Mir hat mal ein Urologe erzählt, auf dem Sterbebett werden alle katholisch. Diese Erfahrung habe ich auch selbst gemacht, denn ich war während des Zivildienstes in einer Pfarrei beschäftigt. Da wurde der Pfarrer von sogenannten Atheisten schreiend ins Krankenhaus geholt, wenn der Tumor im Endstadium war. Ich glaube, ob man Atheist ist, kann man erst auf den letzten Metern sagen.” Aus Neu-Ulm kommt man wahrscheinlich nicht unbeschadet raus. Trotzdem irritiert das an einem wie Schmidt irgendwie.
20.9. 2010 13:28
Angesichts der Tatsache, daß morgen mit geringer (Ansicht des Arztes) bis mittlerer (Statistik, meine Ansicht) Wahrscheinlichkeit mein Todesurteil aus dem Faxgerät kommt, bin ich ganz gelassen. Schlafe ohne Probleme und ohne Hilfsmittel. Vielleicht mache ich mir unzulässige Hoffnungen. Oder ich bin wirklich über diesen Quatsch mit dem Sterben hinweg.
21.9. 2010 12:35
Geträumt: Ich stehe am Westtor, in meiner Nürnberger Wohnung, und schaue hinaus. Es ist die dunkelblaue Stunde, bevor die Sonne aufgeht, und über Nacht ist Schnee gefallen. Ich weiß, daß C. oder D. draußen ist, und gehe sie suchen. Unter der Schneedecke zeichnen sich die Hügel eines Friedhofs ab. Wie schön es wäre, denke ich, auch so ein Grab zu haben. Ein kniehohes Wesen mit schneeweißem, bohnenförmigen Körper, einem hohen Zylinder auf und Armen aus kleinen Ästen greift nach meiner Hand und führt mich zwischen die Bäume. Ich bin wieder sechs Jahre alt oder, wie die Traumstimme das nennt, im Wunderland der Kindheit.
Für anschließend zwei Pläne: Wenn kein Tumorwachstum, setz ich mich an den Wüstenroman und hau ihn bis zum nächsten MRT zusammen. Im andern Fall: werf ich ihn weg und verleg mich aufs Blog. Was schade wäre. Korrekturleser meinten, es wäre das Beste, was ich bisher geschrieben habe.
Uwe hat die ersten zwanzig Kapitel durchgeschaut und Rowohlt informiert. Man könnte einen Slot zwischen Sommer und Herbst freihalten.
21.9. 2010 13:11
Warten auf den Befund bei Dr. Vier. Ich kann ihm zur Begrüßung nicht ins Gesicht sehen. Setze mich in den Stuhl und warte, bis er den ersten Satz sagt.
Es folgt: Der Wüstenroman.
22.9. 2010 23:55
Nach einem Tag Gleichgültigkeit kommt der Gefühlsausbruch doch noch. Wir sitzen gerade im Prater, und ich muß mit Kathrin vor die Tür. Anlaß diesmal: das Blog, das Sascha und Meike für mich gebastelt haben.
Immer die gleichen drei Dinge, die mir den Stecker ziehen: Die Freundlichkeit der Welt, die Schönheit der Natur, kleine Kinder.
24.9. 2010 9:43
Geträumt, daß ich tot bin und träume.
24.9. 2010 12:22
Sitze mit dem Rechner auf einer Bank an der Spree. Karamellfarbene Mäuse mit einem schwarzen Längsstreifen über den Rücken rutschen seitwärts aus dem Gebüsch, schauen mir eine halbe Sekunde lang in die Augen und sprinten davon. Google: Brandmaus.
24.9. 2010 14:34
Laut SZ haben Hawking und Mlodinow die Existenz Gottes widerlegt. Wie ihnen das ohne die Weltformel zu finden gelungen ist, verschweigt der Artikel dezent. Weiter wurde bewiesen, “daß quantisierte Uni- und Multiversen aus dem Nichts fluktuieren, ganz wie man es von virtuellen Teilchen kennt”, und die Welt sei ein Traum, “der aus dem Nichts” käme. Nun ja. Da hätten sie den armen Hawking nicht bemühen müssen.
Autor des SZ-Artikels ist Teilzeitphysiker Ralf Bönt, mein all-time favourite bei
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