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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Gutes ergeben hätte, hätte er’s gesagt. Also nichts Gutes. Ich mache mit Händen und Füßen unaufhörlich die neurologischen Übungen, die ich zur Genüge kenne, um zu testen, was von meinem Hirn noch übrig ist. Nur die linke Hand ist etwas unbeholfen. Ich entdecke eine taube Stelle auf der Stirn, aber sonst keine weiteren körperlichen Ausfälle. Allein das Denken scheint mir stark verlangsamt, und ich bin nicht sicher und kann es mit meinem verlangsamten Denken auch nicht untersuchen, ob es an der Narkose liegt oder an mir.

    Cornelius berichtet später: “Der einzige schöne Moment war bislang, als der Arzt uns reinführte nach der OP, ‘Das sind Ihre Freunde. Erkennen Sie die?’, und Wolfgang starrt uns an und sagt langsam: ‘Nein.’ Nach 5 gar nicht so kurzen Sekunden: ‘Klar erkenn ich die, stellt mir eine Logikfrage’, und uns dann mit ‘zu leicht, ausserdem Erinnerungswissen, nicht Logik’ und Schacheröffnungen demütigte.”

    Woran man sieht, daß Cornelius kein Schach spielt. Ich eröffne gegen Marek mit a2-a4 , Marek antwortet irgendwas, und danach weiß ich nicht mehr, wo die Figuren sind, und halte es für Caro-Kann. Wobei auch kein riesiger Unterschied zu sonst: Wenn Marek und ich Blitzschach spielen, kommt es schon vor, daß der König zehn Züge lang im Schach steht.

    An der Wand ist ein verdrecktes Lüftungsgitter. Die ganze Nacht habe ich den Eindruck, es seien Buchstaben in elf Feldern des Gitters zu lesen. Nach Stunden habe ich sie endlich entziffert: COMPETITION. Okay, Competition. Könnt ihr haben, denke ich. Am Morgen sind die Buchstaben verschwunden.

    Um sechs wechselt die Pflegeschwester, und ich versuche auf der Uhr, die rechts über der Tür hängt, herumzurechnen, wie lange ich bis zum nächsten Schichtwechsel warten muß. Von sechs Uhr drei Mal acht Stunden dazuzählen und wieder bei sechs Uhr landen, ist mir unmöglich. Ich komme immer bei dreißig raus und kann nicht rausfinden, was dreißig für eine Uhrzeit sein soll. Sprachlich scheint dagegen alles okay zu sein, ich finde Worte für dieses Uhrversagen, aber die Rechenleistung: Null. Es scheint mir ein zu verschmerzender Verlust. Dann werde ich in Zukunft weniger abstrakte Romane schreiben. Als es mir im Morgengrauen gelingt, zwei zweistellige Zahlen (17 und 23) miteinander zu multiplizieren, beruhigt es mich dennoch.

    Passig steht irgendwann mit der Hüfte an einen Tisch gelehnt und hinterläßt einen Brief, in dem steht, daß bei der Häßlichkeit meiner Bettwäsche Krebs die notwendige Folge sei. Ich brauche lange, um herauszufinden, welche Bettwäsche sie meint und daß sie bei mir zu Hause war.

    Ich schwitze so stark, daß ich die Schwester fragen muß, ob ich auf Kühlkissen liege. Morgens werde ich gewaschen. Die Schwester ist Vietnamesin, ich verstehe kein Wort ihrer konsonantenfreien Rede und freue mich an der Vorstellung, wie es wäre, als Mitglied des Weißen Arischen Widerstands in dieser Lage zu erwachen. Die Frau wäscht mich und hilft mir, mich selbst zu waschen, und sagt, daß es mir jetzt besser ginge, und recht hat sie.

    In den folgenden Tagen bekomme ich viel Besuch, viele Anrufe und viele Briefe und freue mich über jeden einzelnen. Ich kann nicht sagen, wie jedes Wort und jede Geste mich rührt. Man spürt, wie man mit einem Bein schon drüben steht, und man spürt, wie sie auf der anderen Seite noch an einem zerren. Holm bringt Unterwäsche ins Krankenhaus, ich hatte ja nichts dabei. Ich hatte meine zerrissenste Hose an, als der Arzt kam. Holm bringt auch Luke mit, und es zeigt sich, was sich auch in den nächsten Tagen zeigen soll, daß Kinder mir jetzt irgendwie den Stecker ziehen. Einmal verfüttere ich meinen ganzen Kartoffelbrei an Luke.

    Eine meiner ersten Vorstellungen am ersten Tag nach der Intensivstation ist, wie ich in einem Haus am See wohne, Frau und Kind habe, und neben uns wohnt eine mit uns befreundete Familie mit Frau und Kind, und einmal rette ich den Mann, weil er im Eis eingebrochen ist, und rufe den Krankenwagen.

    Ich habe einen Fernseher, aber auf 15 Kanälen läuft nichts Gescheites. 22 Leute und ein Ball auf grünem Rasen, ich kann lange hingucken, ohne zu begreifen, ob die Weißen jetzt Hertha oder Bayern sind, und wenn ich es herausgefunden habe, vergesse ich es sofort wieder.

    Was mich deutlich mehr beschäftigt, und das ist ein erster Schritt in Richtung Regression, die sich in den nächsten Tagen und Wochen auf so vielen Gebieten bemerkbar machen wird, ist

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