Arbeit und Struktur - Der Blog
bekommen hatte, in dem so Sachen standen in der Art, man wisse wo sein Auto parke, er habe mich (den Briefschreiber) “schon länger auf dem Kieker, lange kieke ich mir das nicht mehr an” und dann noch irgendwas mit Fresse hauen. Sprachlich klang das ein bißchen nach Titanic-Umfeld; und es war offensichtlich jemand aus meiner näheren Umgebung. Bartels und ich konnten das Mißverständnis an jenem Abend nicht wirklich ausräumen, erst, als wir uns in Klagenfurt noch mal wiedertrafen. Er fand Gefallen am Van-Allen-Gürtel, schrieb eine gute Kritik und dann auch noch ein Porträt (bei welcher Gelegenheit er mir auch den ominösen Brief zeigte).
Seitdem hatte ich mich immer gefragt, ob es den Briefschreiber wohl gewurmt hat, so erfolglos gewesen zu sein. Erst heute macht C. mich darauf aufmerksam, daß der Mann angenommen haben muß, seine Drohungen hätten die positive Berichterstattung bewirkt.
Im nachhinein ganz lustig, aber wenn ich an jenem Abend nicht zufällig in der Metzer Straße gesessen hätte, hätte das alles sehr unschön werden können.
5.9. 2010 15:13
In der S-Bahn am Zoo steigt ein mit Handschellen gefesselter Mann die Treppen hinauf. Der Mann ist groß und dürr, ganz in Leder gekleidet und mit etwas zuviel silbernen Beschlägen behängt, um einen ernsthaft nach dem fehlenden Polizisten Ausschau halten zu lassen. Einige Meter vor ihm nur ein Dicker in schäbigen Alltagsklamotten. Wie schön, in einer Stadt zu leben, in der auch nicht ein einziger Passant sich nach den beiden umdreht.
6.9. 2010 9:29
Bei C. im Bücherregal: Dostojewskijs Briefe. Schlage zufällig als erstes die Stelle auf, wo er an seinen Bruder von der Hinrichtung schreibt: “Heute, am 22. Dezember [1849], wurden wir alle nach dem Somjonower Platz gebracht. Dort verlas man uns das Todesurteil, ließ uns das Kreuz küssen, zerbrach über unseren Köpfen den Degen und machte uns die Todestoilette (weiße Hemden). Dann stellte man drei von uns vor dem Pfahl auf, um das Todesurteil zu vollstrecken. Ich war der sechste in der Reihe; wir wurden in Gruppen von je drei Mann aufgerufen, und so war ich in der zweiten Gruppe und hatte nicht mehr als eine Minute noch zu leben. Ich dachte an Dich, mein Bruder, und an die Deinen; in dieser letzten Minute standest Du allein vor meinem Geiste; da fühlte ich erst, wie sehr ich Dich liebe, mein geliebter Bruder! Ich hatte noch Zeit, Pleschtschejew und Durow, die neben mir standen, zu umarmen und von ihnen Abschied zu nehmen. Schließlich wurde Retraite getrommelt, die an den Pfahl Gebundenen wurden zurückgeführt, und man las uns vor, daß Seine Kaiserliche Majestät uns das Leben schenke.”
Einen Brief vorher bedankt er sich bei seinem Bruder für Shakespeare und Jane Eyre (“sehr gut”).
7.9. 2010 12:32
Kriege jetzt erst mit, daß es in Christchurch ein Erdbeben der Stärke 7,4 gegeben hat, heute Nachbeben. Keine Toten. Weiß immer noch nicht, wie ich Calvin kontaktieren soll. Schaffe es nicht, E. zurückzurufen. Schaffe es nicht, A. anzurufen.
11.9. 2010 11:32
Das erste Exemplar von Tschick mit der Post. Ganzen Vormittag Korrekturen gemacht. Rechtschreibfehler bedrücken mich kaum noch, aber die vielen überflüssigen und falschen Sätze.
Eine Einladung des Goethe-Instituts in New York abgelehnt. Februar, was ist im Februar? Zu verdanken hab ich das offensichtlich Susan Bernofsky, die mal Path of the Soldier übersetzt und jetzt auch in einer Literaturzeitschrift untergebracht hat.
13.9. 2010 11:40
Geträumt von einer amerikanischen Studie, die nachweist, daß Alleinsein Krebs macht. Wußte ich aber schon.
16.9. 2010 16:18
Versuchsweise einem Interview am Telefon zugestimmt, WDR, ging gar nicht. Zweiter Tag der Chemo, Konzentrationsschwierigkeiten, keinen Satz zu Ende geredet. Aber das eigentliche Problem ist: ich erinnere mich kaum noch an das Buch. Das alles liegt schon so weit zurück, und heute morgen hab ich grad mit Uwe Heldt telefoniert, damit er das nächste verkauft.
17.9. 2010 23:55
Lobos Buchvorstellung in der Backfabrik, deutlicher Unterschied zur Leseprobe des ersten Kapitels. Warum Frauen auftauchen in dem Roman, ist mir zwar noch immer nicht klar, und auch Lobos mantraartig vorgetragene Behauptung, der Erzähler sei unzuverlässig, läßt mich befürchten, der Autor habe dies im Buch darzustellen vergessen. Aber die ausgewählten Kapitel sind sehr unterhaltsam, und auch im Publikum fehlen die gewohnten Lobohasser oder melden sich nicht zu
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