Arbeit und Struktur - Der Blog
besonders effektiv erweisen, versuche ich selten zu benutzen und mir für die größeren Krisen aufzusparen.
“Arbeit mit Passig” steht dort zum Beispiel oder “Galiani-Balkon”. Ich stelle mir vor, neben Passig in der Küche zu sitzen und zu schreiben, ich stelle mir vor, im Sommer 2011 auf dem Balkon meines Verlags mit dem fertig geschriebenen und gedruckten Jugendroman zu stehen, oben der Abendhimmel, neben mir alle vom Verlag. Und Karen Duve.
Zwischen dem 3. und 6. März höre ich auf zu schlafen. Mein Hirn läuft auf Hochtouren. Ich schreibe den ganzen Tag, brauche keine Pause mehr und stelle fest, daß meine geringe Lebenserwartung sich durch das Nichtschlafen fast verdoppelt.
Normal habe ich so um die 300 Anschläge pro Minute. In diesen Stunden habe ich mindestens das Doppelte. Ich hacke alles in der Geschwindigkeit runter, in der ich es denke, und schicke es ohne Korrektur ab.
Gleichzeitig kommt es zu einer subjektiven Zeitausdehnung um den Faktor 5 bis 6. Ich teste das, indem ich immer, bevor ich auf die Uhr blicke, die Zeit schätze. Auch als ich die merkwürdige Diskrepanz lange genug beobachtet habe und bei meinen Schätzungen zu berücksichtigen versuche, bleibt es dabei: Ich tippe weiter um den Faktor 5 daneben. Subjektiv sind fünf Stunden vergangen, tatsächlich nur eine. Auch alle Fußwege verlängern sich um denselben Faktor, und ich brauche eine Weile, um zu begreifen, daß ich weder langsam bin noch in meiner Schusseligkeit Umwege gehe, sondern daß Weg und Zeit proportional sind: Meine ganze Welt dehnt sich aus.
Über E.M. Cioran meine ich, einmal gehört zu haben, daß er nicht schlafe. Ich habe den Eindruck, nun das gleiche Schicksal zu erleiden. Ich fühle mich großartig. Freunden und Bekannten gegenüber beschreibe ich meinen Zustand abwechselnd mit “Ich bin zwölf Jahre alt, und es ist der erste Tag der Sommerferien” oder “Auf einer Skala von eins bis eine Million: eine Million.”
Rückblende, Teil 5: HaShem :
Den sich minütlich oder sekündlich zu Wort dazwischenmeldenden Gedanken an den Tod versuche ich wegzudrängen, wie ich es mit fünfzehn oder sechzehn schon einmal mit anderen störenden Gedanken gemacht habe. Damals hatte ich den sehr starken und bedrückenden Eindruck gehabt, mein Leben zu verplempern, und mir Tagträume verboten, weil ich spürte, wie sehr sie mich von ihrer eigenen Erfüllung abhielten. Ich weiß nicht mehr, welchen Mechanismus ich damals benutzte, aber mindestens ein Jahr lang unterbrach ich jeden Anflug abschweifender Gedanken im Bruchteil einer Sekunde und widmete mich sinnvolleren Dingen oder dem, was ich dafür hielt.
Die Stimmen im Kopf: Walther, Wilhelm und Wolfgang. Rechts oben der auf 800 Tage eingestellte Hebel zur Manieregulation, der bei völliger Überdrehtheit auf 513 Tage gedrückt werden kann. Links oben die Neue Regentin (NR).
Diesmal reicht eine einfache Willensentscheidung nicht aus, und ich muß eine sehr plastisch vorgestellte Walther PPK in meinem Kopf installieren, um jeden unangenehmen aufkommenden Gedanken zu erschießen: Peng, peng. Zwei Kugeln, und ich denke an etwas anderes. Das funktioniert anfangs mal über kürzere, mal über längere Zeiträume gut, aber: es funktioniert. Daß meine Lippen gelegentlich lautlos und dann immer öfter auch nicht lautlos “Peng, peng” dazu machen, ist mir herzlich egal, und auch, ob ich dabei allein oder in der Öffentlichkeit bin. Gelegentlich muß ich auch mit den Armen zucken wie um Fliegen abzuwehren und gleichzeitig den Abzug der Walther in der Hand zu behalten.
Daß ich zur Abwehr das äußere Gebaren und – wie ich daraus schließe – auch die inneren Strategien eines Verrückten reproduziere, beunruhigt mich nicht. Es sind von mir selbst initiierte Strategien, und ich beurteilte sie nach ihrer Effektivität: Mit immer größerer Zuverlässigkeit ballert es den Todesgedanken spurlos weg.
Nach einigen Stunden, vielleicht ist es auch ein Tag, bemerke ich, daß es in meinem Kopf knallt, ohne daß ich den Abzug gedrückt habe. Die Walther verselbständigt sich. Das ist mir willkommen, sie tut nur ihre Pflicht. Es klickt und knallt in meinem Kopf ohne mein Zutun, und der Todesgedanke taucht kaum noch bis unter die Oberfläche, während ich von allem unbeeindruckt am Computer sitze und arbeite. Auch wird das Klicken und Knallen langsam leiser und niederfrequenter. Oft denke ich eine halbe Stunde oder länger nicht an den Tod.
Zeitgleich mit der Walther etwa
Weitere Kostenlose Bücher