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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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    Während die radioaktive Lösung in mich reinläuft, macht die Ärztin mir Hoffnungen. Ich wedle imaginäre Insekten von mir fort, nichts Hoffnungsmachendes, bitte, ich verliere sonst das Gleichgewicht. Habe mich mit dem Elend abgefunden und weiß, was es ist. Sieht ja jeder Laie.

    Und das ist es dann auch. Also zweite GBM-OP.

    Dann zurück zur Anmeldung, dann in die Kardiologie. Noch an ungefähr fünf weiteren Stellen Name, Alter, Größe, Gewicht und Vorbefunde. Zwei Stunden Wartezeit vor der Anästhesie, wir streiken gerade. Vielleicht wollen Sie da drüben was essen? Und in die Diagnostik müssen Sie auch noch: Alkohol, Zigaretten, Ernährung, Einkommen, ledig oder nicht? Alter, Gewicht und Größe nicht vergessen. Alles streng durchanonymisiert, wir erforschen nur, wie die Lebensumstände den postoperativen Verlauf beeinflussen. Und ob die Höllenbürokratie der präoperativen Phase den auf irgendwelchen mit August-Macke-Bildern zugekleisterten Krankenhausfluren halbtot hängenden Patienten in irgendeiner Weise schwächt, erforschen wir dann vielleicht in der nächsten Studie.

    Es ist eine ganz sonderbare Verzahnung von hochmoderner Supertechnologie, Windows-98-Rechnern und einer aus dem 19. Jh. stammenden Buchenholzzettelkastenverwaltung, die einen in jeder Sekunde in den Wahnsinn treibt.

    Schon mal Drogen genommen? “Nein” kann ich guten Gewissens nicht ankreuzen. Sofort spuckt der Rechner tausend Folgefragen aus, die erforschen wollen, wie sehr ich meinen Angehörigen mit meiner unkontrollierten Kokssucht auf die Nerven falle, was ich dagegen zu unternehmen gedenke und wie meine Einstellung zu frischem Obst ist. Bitte schieben Sie den Regler auf eine Zahl zwischen 1 und 5.

    Name: Wolfgang Herrndorf
    Größe: 183
    Gewicht: 80
    Status: ledig
    Geschlecht: männlich
    Einkommmen: riesig

    Alles gewissenhaft verschlüsselt unter der Kennziffer GG4674. Wenn man mir bitte mal bei nächster Gelegenheit einen Chip mit meinen persönlichen Daten unter die Haut schießen könnte.

    Zurück in der Anästhesie beantworte ich die Fragen nach Größe, Alter und Gewicht zum letzten Mal für heute. Dann versuche ich den Weg zur Station allein zurückzufinden. Man darf sich von den häßlichen roten Bildern nicht täuschen lassen, richtig sind die häßlichen orangen.

    OP-Termin nächster Mittwoch. Und jetzt nach Hause.

    11.10. 2011 13:46

    Noch einmal das seltsame immer wieder und m.E. immer gleich während des Anfalls im Kopf herumgehende Lied durch Aufschreiben festzumachen versucht:

    under while längst
    sonder surprised

    Von Klang und Rhythmus her nicht weit entfernt von “An der Weser, Unterweser”. Aber keine Ahnung. Ich krieg’s nicht raus.

    Falls doch nochmal irgendwas wie “Jesus Christus hat die Welt erlöst” erkennbar wird, melde ich mich wieder.

    12.10. 2011 14:44

    Tschick jetzt Schullektüre auf Costa Rica, Bilder einer blauuniformierten Klasse, die unter Palmen sitzt und liegt und liest.

    In Baden-Württemberg dagegen läuft der Buchverkauf so schleppend, daß jugendliche Straftäter zur Lektüre verurteilt werden müssen: Buch kaufen, lesen, fünfseitige handschriftliche Inhaltsangabe, und falls das nicht klappt, “kann ich bis zu vier Wochen Ungehorsamsarrest verhängen”. Richter Hamann, Amtsgericht Reutlingen.

    Unglaublich gelacht beim FAZ-Interview. Monika Kunz? Wer ist Monika Kunz? Mußte ich mir erstmal von Cornelius erklären lassen.

    13.10. 2011 14:30

    Acht oder neun Grad, Sonne scheint, gebadet. Lars und Julia schaffen es bis zum anderen Ufer.

    15.10. 2011 12:02

    “Middlesex hat viele postmoderne Elemente; es gibt viele Signale, dass die Geschichte vom Erzähler erfunden wird, aber kein unmissverständliches Bekenntnis zum Realismus. Die Liebeshandlung ist in viel höherem Maß ein realistischer Roman, hat aber einen dekonstruktivistischen Subtext. Aber ich bin gern ein Rekonstruktivist, wenn das bedeutet, dass ich immer noch Geschichten darüber schreibe, wie Menschen heute leben und fühlen.” Sagt Jeffrey Eugenides. Und fährt fort: “Wenn Rekonstruktivist hingegen einen Autor meint, der so tut, als hätte es das 20. Jahrhundert nicht gegeben, dann will ich keiner sein. Ich will den narrativen Pool des 19. Jahrhunderts zurück, aber nicht das 19. Jahrhundert.”

    Im Gegensatz zu mir hat er vermutlich studiert. Aber Signale, daß die Geschichte vom Erzähler erfunden wird – Wahnsinn. Was werden sie als nächstes herausfinden?

    16.10. 2011 14:45

    Eine

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