Arbeit und Struktur - Der Blog
auffahren, Fäden ins Leere laufen lassen und am Ende keine Lösung haben, ist nicht originell, nicht postmodern, sondern einzig und allein ein mächtiger Schmerz im Arsch.
Wahnsinnig Mühe darauf verwendet, alles wie ein Uhrwerk abschnurren zu lassen, aber Riesenproblem für jemanden, der noch nie richtig geplottet hat: die Informationsdosierung. Was sagt man dem Leser, um ihn auf die falsche Fährte zu locken, was sagt man, damit er das Gegenteil von dem annimmt, was man ihm zu insinuieren versucht, was sagt man am Ende überhaupt? Für Marcus eine zehntausend Zeichen lange Inhaltsangabe verfaßt, damit er durch den Dschungel findet.
Dafür neuer Witz: Die von Joachim vorgeschlagene Primzahlenzerlegung in den letzten Kapiteln.
7.10. 2011 19:50
Nachmittags Rowohlt, Manuskript mit den letzten drei übersehenen Fehlern persönlich zum Verlag gefahren. Dort Gunnar Schmidt und zufällig auch Fest, den ich noch nicht kannte. Lustiges Gespräch über die Sportsfreunde der Sperrtechnik. Der Sohn ist Lockpicker.
Vom Verlag zum Fußball gerast und so gut gespielt wie lange nicht.
8.10. 2011 15:07
Arbeitsfreier Tag. Schätzungsweise der erste Tag seit zwanzig Monaten, an dem ich arbeiten könnte und es nicht tue. Alles fertig. Foto und Klappenzitat abgestimmt, die Schrift auf dem Cover wird noch ausgetauscht. Foto auf Wunsch des Autors mit abgewandtem Blick.
Tee trinken, Stendhal lesen, bißchen Blog, abwaschen, Wäsche machen, Staubsaugen.
Beim Aufräumen letztes Tagebuch entdeckt, das der Vernichtungsaktion entgangen war, begonnen am 28. Mai 2004, letzter Eintrag vom 17. Dezember 2009:
“Herrn Dames Aufzeichnungen von Reventlow. Schöne Beschreibung des Kosmikerkreises zu Beginn, die Aufbruchstimmung, das Mulmige der Gesellschaft. Die Libertinage, die so fortgeschritten ist, daß sie sich selbst nicht erwähnenswert findet und ohne jede Abgrenzung gegen ein Außen auskommt. Alles im Netz zu Reventlow parallel gelesen, Fotos geguckt, Stationen ihres Lebens, Husum, Kloster Preetz – Lesegefühl wie in meinen Zwanzigern, wo ich zuletzt Heine, Dostojewskij, Storm auf diese Weise las. Der Roman flaut ab gegen Ende, zerstreut sich ins Tagebuchartige, aber die Melancholie der untergegangenen Bohème rührt mich. Draußen erster Schnee liegengeblieben. Calvin auf seinen Brief nach einem Jahr noch immer nicht geantwortet. Arbeit hängt. Fühle mich wie eingesargt. Sehe niemanden. Nachts Panik.”
Und ab in den Müll.
8.10. 2011 19:56
Auf dem Weg zu C. kleiner epileptischer Anfall, fünf Minuten, steige nicht mal mehr vom Rad. Innovation: Holms Stimme sagt Unterweser auf, im Chor dahinter Philipps Stimme.
9.10. 2011 20:35
Mit Handschuhen und Mütze zum Plötzensee, zwanzig Minuten gebadet. Lars und Marek dabei. Lange fröstelnd in der Sonne, fast wie nach dem Schlittschuhlaufen früher. Steffi und eine Kanne Heidelbeertee.
Die Zeitspanne, in der ich in die Zukunft denke, oft keine zehn Sekunden mehr, teilweise regrediert auf den Gemütszustand eines Fünfjährigen. Und nicht nur den Zustand, auch das Benehmen. Da fahre ich mit dem Fahrrad das Nordufer entlang und freue mich wie wahnsinnig über Bäume und Autos und Licht. Dann taucht am Ende der Straße eine Kreuzung auf – und dann? Oh, ein neuer Weg! Neue Bäume, neue Autos, neues Licht, welche Freude! Weitere zehn Sekunden bis zur BEHALA Westhafen – und dann? Was kommt dann? Und so geht das Schritt für Schritt.
10.10. 2011 7:30
Aufnahme im Virchow zum FET-PET. Bürokratie, noch mehr Bürokratie, endloses Herumgeirre. Haus 3, Haus 2, dann in den Fahrstuhl, in den 2. Stock, dann aus dem Fahrstuhl raus rechts, da ist eine Sitzgruppe, da anmelden. Name, Karte, Geburtsdatum, Größe, Gewicht, Vorbefunde. Wasser können Sie sich nehmen. Und da gehen Sie jetzt mal zu den Radiologen auf der anderen Straßenseite. Da lang. Nein, da lang. Den ganzen Tag.
Für jemanden mit Orientierungsschwäche ein ziemliches Problem. Fünfmal hintereinander kriege ich erklärt, auf welcher Seite des Fahrstuhls ich aussteigen muß, von wo aus gesehen da rechts ist, zuletzt drückt man für mich schon mal den Knopf mit der Doppel-0 und dreht mich an den Schultern in die richtige Richtung. Guten Tag, Dr. J., guten Tag. Und da warten Sie jetzt mal.
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Radiologisches Zentrum
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