Arbeit und Struktur - Der Blog
Das Davonstehlen aus dem Krankenhaus hier etwas einfacher als im Friedrichshain.
Der Alptraum vom Morgen hängt mir immer noch nach. Ich erzähle ihn C., vermutlich der einzige Mensch, der weiß, was in mir vorgeht; Natascha vielleicht auch. Und, wenn ich das richtig gelesen habe in ihrem Gesicht, die Study Nurse. Berufserfahrung.
25.10. 2011 13:30
Strahlentherapeut Dr. Badakhshi, der wirkt, als ob er Studien zum Frühstück ißt, möchte mir stereotaktisch weitere 50 Gray zu den 60 Gray vom letzten Jahr noch hinzustrahlen in dreizehn Portionen à 3,8 Gray. Nicht großflächig diesmal, sondern mit einem Saum weniger Millimeter um das entfernte Rezidiv herum. Empfehle wegen Nebenwirkungen kaum einer, nur zwei Stellen in Deutschland, er sei eine davon. Nekrosen: klar. Aber Nekrosen sind für Muschis, so Badakhshi sinngemäß. Auf ein paar Millimeter mehr oder weniger komme es bei einem Hirn wie meinem jetzt auch nicht mehr an.
Ein Arzt, der offenbar gern bestrahlt. Und da ich ein Patient bin, der gern bestrahlt wird, sind wir uns rasch einig. Außerdem neigt er zum Temodal-one-week-on-one-week-off-Schema wie mein Onkologe auch.
25.10. 2011 19:00
Besuch Joachim.
26.10. 2011 16:24
Entlassung. Sage, daß mich jemand abholt und fahre mit dem Fahrrad nach Hause. Brötchen kaufen, Postkasten leeren.
Als Folge der OP scheint sich mein Sichtfeld noch einmal verkleinert oder verändert zu haben. Dort, wo vorher nichts war, ist jetzt wieder etwas. Etwas Falsches allerdings. Persistierende Bilder, teilweise von der Gegenseite rübergespiegelt. Mal sieht es aus wie eine Wasserpfütze, die neben mir dahingleitet, dann wieder, als könne ich durch den Boden ins Untergeschoß sehen. Und von X-Ray-Man zu Moron Man ist es nur ein winziger Schritt. Einmal stehe ich an der Ampel, und auf der anderen Straßenseite, perspektivisch verkleinert, eine Frau. Im nächsten Moment ist sie lebensgroß an meiner Seite, und als ich loslaufe, geht sie fünf, sechs Schritte neben mir her. Mit der linken Hand wedle ich die Gespenster weg.
Vorteil Berlin: Auf der Torstraße bin ich unter den Gestörten nur Mittelfeld.
26.10. 2011 16:59
Aus juristischen Gründen steht im Impressum meines Blogs meine Postadresse mit dem Zusatz “Keine Anfragen”. Keine Anfragen, für alle, die Schwierigkeiten haben, das zu verstehen, bedeutet: Keine Anfragen.
Wenn Sie sich von mir Antworten auf Fragen erhoffen, schreiben Sie mir nicht. Ich habe keine Zeit. Wenn Sie sich für den einzig richtigen Regisseur für die Verfilmung von Tschick halten, wenn Sie sich beschweren wollen, daß ich auf Ihren letzten Brief nicht reagiert habe, wenn Sie mir (es geht um Leben und Tod) das abermalige gründliche Studium Ihrer Website anraten, welche empfiehlt, getrocknete Apfelsinenkerne zu essen, mein Handy gegen ein Festnetztelefon auszutauschen, Energiesparlampen in Kopfnähe auszuweichen: Schreiben Sie mir nicht. Wenn Sie durch Ryke Geerd Hamer, grünen Tee und Himbeeren geheilt geworden sind, wenn Sie einen frankierten Briefumschlag beilegen wollen, wenn Sie Jesus oder achtundzwanzig andere namenlos bleiben müssende Exzellenzheiler kennen und schätzen gelernt haben: Freuen Sie sich an Ihrem Glück. Ich freue mich mit Ihnen. Aber schreiben Sie nicht. Und wenn Sie einem einstündigen Beitrag des Qualitätssenders ARD zur besten Sendezeit entnommen haben, daß Handauflegen nun kraniosakrale Therapie heißt und von Schulmedizinern erfolgreich gegen Hirnkrebs eingesetzt wird: Verlangen Sie Ihre GEZ-Gebühren zurück. Aber schreiben Sie nicht. Und schreiben Sie mir vor allem nicht, wenn Sie irre sind.
Sie sind irre, wenn Sie vor 1993 geboren sind und der Brief, den Sie mir schicken wollen, mehr als zwei DIN-A4-Seiten umfaßt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent. (Das traurige, fehlende Prozent ist ein Strafgefangener – Spanien, Drogen, 9 Jahre – der mir auf Grund einer Verwechslung schreibt. Grüße und viel Glück an dieser Stelle, aber ich war nie in Spanien.) Aber alle anderen Mentalhypnotiseure, Naturkostler, Homöopathen und Kokovoristen: Sparen Sie sich die Mühe. Um mir klarzumachen, daß Sie mein Blog nicht gelesen haben, gibt es subtilere Methoden, das mitzuteilen: Durch Schweigen zum Beispiel. Und wenn Sie mit dem Begriff “irre” hingegen nichts anfangen können, kann ich es für Sie auch noch einmal blumiger ausdrücken: ICD-10, F70-79. Persönliche Kennzahl suchen Sie sich. Danke für die Aufmerksamkeit.
26.10. 2011 17:30
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