Arbeit und Struktur - Der Blog
Sache, die ich trotz hundertmaliger Stendhal-Lektüre wieder vergessen hatte: Die Travis-Bickle-Szene, der Bischof von Agde segnet den Spiegel. Zur Zeit des späten Goethe, unvorstellbar.
18.10. 2011 12:45
Mit der schweren Tasche auf dem Fahrrad ins Virchow-Klinikum. MRT für die OP, dann Vierbettzimmer. Der links fragt, ob ich auch ein Bier will, der gegenüber gibt für den Rest des Tages das Fernsehprogramm telefonisch an seine Frau durch. Liege nur rum, kann nichts machen.
19.10. 2011 11:00
Auf Tag und Uhrzeit genau folgt der ersten OP nach zwanzig Monaten die zweite. Wieder kein Beruhigungsmittel, bitte, ich will das sehen, die Gesichter, die Lampe, die Maske auf meinem Gesicht. Tief atmen.
Dann ist die Maske weg, und es sieht aus wie auf dem Jahrmarkt. Großes Gepiepse und Geblinke und Gerenne. Die Intensivstation, wie sich rausstellt, ist überbelegt, das hier nennt sich Aufwachzimmer. Die ganze Nacht über, die in Wahrheit ein Nachmittag ist, bin ich damit beschäftigt, vorübereilende Pfleger und Schwestern um Wasser anzubetteln. Immer wieder die Frage, ob ich wisse, wo ich sei. Einmal sage ich Buchenwald, aber der Witz zündet nicht richtig.
Ein Weißbekittelter meldet, es sei alles wunschgemäß verlaufen, dann tauchen der Reihe nach C., Kathrin und ein (wie sich später erweist) eingebildeter Cornelius auf, die sich abwechselnd als meine Lebensgefährten vorstellen, um eingelassen zu werden.
C. möchte nicht mit einem Hut verwechselt werden, Kathrin hat eine Pappschachtel im Arm, deren Inhalt sie mir nicht zeigt. Und jetzt vielleicht noch mal Wasser, bitte?
In der SZ wird später stehen, Passig habe die Bronzefigur uninspiriert entgegengenommen, und auf die Frage irgendeines Radios, ob dies der richtige Zeitpunkt für die Verleihung gewesen sei, weiß sie nichts zu sagen.
“Letztes Jahr”, erklärt sie, “als der Preis verliehen wurde, gab es Tschick noch nicht. Nächstes Jahr, wenn der Preis verliehen wird, wird es den Autor wahrscheinlich nicht mehr geben … insofern, ja, geradezu der ideale Moment. Aber das ist mir wie immer erst eine Minute später eingefallen.”
Einundzwanzig :
21.10. 2011 14:00
Zwei Tage nach der OP erster Spaziergang zum nahen Plötzensee, fast einmal rum. Keine große körperliche Schwäche, seelisch auch nicht. Das MRT zeigt keinen leuchtenden Saum, alles erwischt, was sichtbar war.
22. 10. 2011 12:00
Aufenthaltsraum der Neurochirurgie, Korrektur der Korrekturen. Marcus praktisch allein, ich ohne Überblick.
23.10. 2011 16:00
Rudern auf dem See mit Freunden. Leider kann man mit den morschen Riemen nicht durchziehen. Aber schön ist der Dunst am Ufer am Abend.
24.10. 2011 7.12
Traum: Arbeit am Roman in einer Jahrhundertwende-Villa an der Ostsee. C., Lektor, Cornelius, alle da. Kurz vor Sonnenaufgang sehe ich eine Reihe nackter alter Männer und Frauen durch ein Tor hinter der Villa zum Strand hinuntergehen und im eiskalten Wasser baden. Sofort laufe ich zu meinen Freunden. Zwischen grauen Sandburgen stehen sie am Strand, trinken und feiern, in Gespräche versunken. Ein DJ legt auf.
Baden, rufe ich, man kann baden! Da taucht neben mir ein ganz in Schwarz, fast wie ein Schornsteinfeger gekleideter, hagerer Mann auf. Neben ihm sein kleiner, schweinsgesichtiger Sohn, genauso gekleidet. Beide strecken mir eine Hand entgegen. Wir kommen, Sie zu holen, sagen sie.
Die Plötzlichkeit ihres Auftauchens überrascht mich – nicht der Zeitpunkt, allein die Plötzlichkeit – und während ich noch überlege, ob aus der Formulierung des Holen-Kommens nicht auch ein Irgendwo-Hinbringen folgen müsse, im schlimmsten Fall in ein von mir immer abgestrittenes Jenseits, versuche ich, meine letzte große Erkenntnis in die Welt hinauszuschreien: “Zwei Schwarze, und sie kommen, und sie …” Aber meine Stimme ist schon auf stumm geschaltet. Noch stehe ich zwischen meinen Freunden, aber sie hören mich nicht mehr, ich bin für immer verschwunden im Dunkel.
In genau diesem Moment unterbricht die Morgenvisite den Alptraum. Die Fragen nach meinem Befinden kann ich nur stammelnd beantworten, der Stationsarzt fragt die Schwester: Ging es ihm sonst denn gut?
24.10. 2011 15:00
Gespräch mit der Study Nurse, Möglichkeiten der Weiterbehandlung. Man bevorzugt Celebrex in Verbindung mit niedrig dosiertem Temodal, metronomisches Schema. Ich sehe die Urlaubsbräune auf ihrem Knie und denke: Ich will noch mal ans Meer.
24.10. 2011 17:10
Dann mit dem Rad zu C.
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