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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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erst im Nachhinein im Überschwang spontaner Selbstdramatisierung erkennbar falsch und ungenau Beschriebenes wird neu beschrieben, Adjektive getauscht, neu Erinnertes ergänzt. Aber nichts erfunden. Das Gefasel von der Unzuverlässigkeit des Gedächtnisses und der Unzulänglichkeit der Sprache spar ich mir, allein der berufsbedingt ununterdrückbare Impuls, dem Leben wie einem Roman zu Leibe zu rücken, die sich im Akt des Schreibens immer wieder einstellende, das Weiterleben enorm erleichternde, falsche und nur im Text richtige Vorstellung, die Fäden in der Hand zu halten und das seit langem bekannte und im Kopf ständig schon vor- und ausformulierte Ende selbst bestimmen und den tragischen Helden mit wohlgesetzten, naturnotwendigen, fröhlichen Worten in den Abgrund stürzen zu dürfen wie gewohnt -

    23.12. 2011 19:00

    Bei den Eltern. Mail eines anderen Glioblastoms, die ankündigt, die letzte zu sein.

    Zwei Stunden im Regen spazierengegangen. Glasmoorstraße, Hofweg, Grüner Weg, wo ich vor 26 Jahren ging, in einer ähnlichen Nacht, Strommasten und Mond über mir, schreiend. Egal, alles entsetzlich egal.

    24.12. 2011 14:00

    Die Bumerangs, die im Keller meines Vaters noch lagern, geworfen auf dem Sportplatz am Süd, wo ich auch Bretfeld zum letzten Mal begegnete. Fast alles über Tuning und Anstellwinkel vergessen, auch mit langem Rumprobieren nur die schlichtesten Geräte drei oder vier Mal gefangen. Nieselregen, böiger Wind.

    Im kleinen Karree Fußball gespielt gegen meinen Vater, er gewinnt 20:19.

    28.12. 2011 19:19

    Erinnerung: Mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Süd, wo ich jeden Dienstag das Mädchen, in das ich hoffnungslos verliebt war, aus der Ferne sehen konnte. Ich Handball, sie Volleyball, sommerliche Wärme, große Aufregung, und dann plötzlich dieses Geräusch – Baustelle? Schutzblech lose? Zweig in den Speichen? Endlos lange Sekunden, um zu begreifen, daß das Klackern aus meinem Mund kam. Ich konnte die Zähne zusammenbeißen, dann war es weg, und wenn ich wieder locker ließ: Kastagnetten.

    Schlotternde Knie, klappernde Zähne, markerschütternde Schreie: Der ganze Kosmos der Angst- und Panikreaktionen war mir immer viel weniger aus der Sprache, über die ich mir selten Gedanken machte, als aus Comics bekannt (Wasserpfütze zwischen den Füßen, Wackelstriche um die Knie, “klacker klacker klacker” neben den lose im Mund herumwürfelnden Zähnen), und mein Entsetzen, meinen Körper diese auf Entenhausen beschränkt scheinenden Phänomene unkontrolliert reproduzieren zu sehen, war jedesmal fast genauso entsetzlich wie das eigentliche Geschehen.

    2.1. 2012 11:30

    Nachsorgegespräch. Status epilepticus, Chemobrain, die offenbar nicht zu unterschätzenden Einflüsse der Psyche bei den durch Gabe von Zytostatika und noch lange nach der Gabe allein nicht erklärlichen Zustandsverschlechterungen des Krebspatienten.

    Sie arbeiten? Dann arbeiten Sie weiter. Den ganzen Tag am Rechner? Was für ein Rechner? Macbook?

    Sowohl mit dem Bildschirm als auch mit dem Zustand seines Patienten ist Dr. Badakhshi sehr zufrieden.

    4.1. 2012 22:36

    Endlich wieder geschrieben, währenddessen die ganze Zeit Wulffs Selbstdemontage verfolgt.

    Abends auf dem Weg von C. zu mir, aus der Burger-King-Ausfahrt hinter der S-Bahn Tiergarten kommt ein weißer Kleinwagen. Ich sehe ihn, ich könnte bremsen, aber mir scheint, er bremse auch, außerdem habe ich Vorfahrt. Doch er bremst nicht. Mitsamt Fahrrad und einer Drehung um die horizontale Achse katapultiert es mich auf die Straße.

    Nichts passiert, erster Gedanke, nichts gebrochen, elegant abgerollt.

    Zwei Frauen steigen aus. Zusammen mit Passanten setzen sie mich auf den Bordstein. Ich spucke Blut, ich habe mir auf die Zunge gebissen. Sie wollen die Polizei rufen. Auf keinen Fall Polizei, keine Polizei, kein Krankenwagen, alles in Ordnung, sage ich, bestens. Ich will sofort weiter, den idiotischen Wulff in den Abendnachrichten sehen. Die Beifahrerin lacht die ganze Zeit hysterisch, hüpft über die Straße, faßt mich an und freut sich, daß mir nichts passiert ist. Ich bin so froh, ruft sie, ich bin so froh. Dann kommt die Polizei, man fährt mich ins Virchow-Klinikum. Ich kann das linke Bein nicht beugen. Reden Sie mit mir, sagt der Notfallmann. Wissen Sie, was ein Glioblastom ist? Nein, weiß er nicht. Er legt mir eine Halskrause an, ich schreie vor Schmerzen, er nimmt sie wieder ab.

    Sieben Mal röntgen: Oberschenkel nicht gebrochen, nur riesige

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