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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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2011 17:00

    Halt auf freier Strecke von Dresen, Geschichte eines Mannes mit Hirntumor, die mich, wie ich dachte, nachdem ich den Trailer gesehen hatte, kaltlassen würde. Zu weit ab vom eigenen Erleben.

    Der Film beginnt mit einem Fehler: Mit nichts weiter als dem MRT in der Hand diagnostiziert der Arzt ein Glioblastom. Aber dramaturgisch natürlich völlig richtig: Denn sofort ist man drin, in der Hölle.

    Lars, Marek und Julia neben mir, Cola und Snickers in den Händen, und dann erscheint auf der Leinwand der Wartesaal mit den roten Metallsitzen, auf denen ich wenige Stunden zuvor selbst noch gesessen und gewartet habe. Virchow-Klinikum, Südring 5, Untergeschoß. Die Ärzte sind Ärzte, die Schwestern sind Schwestern. Novalis dreht sich um Milan Peschels Kopf herum, und dann einmal ganz unter dem Metalltisch hindurch. Interessant. Kriegt man unter der Maske gar nicht mit.

    Schlimmste Stelle: Der Besuch der Eltern direkt nach der Diagnose. Um Normalität bemüht, nehmen sie auf dem Sofa Platz und schildern die Herfahrt im Auto, eine ihnen den Weg versperrende Baustelle, die Schwierigkeiten, um die Baustelle herumzufahren, die glücklicherweise ausgezeichneten Autofahrfähigkeiten des Vaters usw. usf.

    Ich habe es bisher immer vermeiden können, meinem Gegenüber mitten im Gespräch den Rücken zuzuwenden und schreiend wegzulaufen oder ihm ins Gesicht zu schlagen, aber daß das auch in Zukunft so bleibt, kann ich nicht garantieren. Ich sterbe, und du erzählst mir ungefragt deinen ganzen nicht enden wollenden, langweiligen Lebenslauf, Mädchen auf irgendeiner Party.

    Ein Bekannter, der den Befund kennt, spaziert zur Tür herein und erklärt, was für riesige Fortschritte die Medizin in den letzten Jahren gemacht hat, Schwester, Brustkrebs, was die jetzt schon alles können, wirklich erstaunlich, das wird schon wieder. Und dann gute Besserung.

    Ja, dir auch.

    Und keiner stellt eine Frage. Keiner von diesen Herumschwallern stellt eine einzige Frage.

    Janko, den ich kaum kenne, der beide Eltern durch Krebs verloren hat, kommt jedesmal beim Fußball auf mich zu und fragt, wie’s mir geht. Und dann sage ich, gut geht es mir, weiter nichts, und das ist eine solche soziale Wohltat, einfach die Meldung, daß er weiß, was da ist, daß da was ist, und daß ich weiß, daß er es weiß, mehr braucht es gar nicht.

    “Das Gute an diesem Film ist, dass er so scheiße ist, dass er einen überhaupt gar nicht erst berührt” schreibt ein Rüdiger Suchsland in der FAZ. Vielleicht auch mal das Hirn untersuchen.

    Man kann sich, wie gesagt, allerdings auch Melancholia angucken, und nähert sich dem, was Dresen objektiviert, dann von der anderen Seite.

    19.11. 2011 15:13

    “Ein herrlicher Ball!” sagte er zum Grafen. “Nichts fehlt hier.”
    “Es fehlt der Sinn”, gab Altamira zur Antwort.

    19.11. 2011 23:51

    Mit Kathrin in Cheyenne, guter Film, dann trauriges Gespräch über unsere Urlaube in Fuerteventura und Sizilien, die ich so toll fand und sie, wie sich jetzt herausstellt, scheiße. Oder mein Verhalten, meine Asozialität in der zwanghaften Arbeitsfixierung, das Gestöhne vor dem Rechner den ganzen Tag und mein von mir selbst offenbar nicht bemerktes Desinteresse an allen anderen. Aber haben alle anderen nicht auch den ganzen Tag in ihre Rechner geschaut? Versucht, Klarheit über Mail zu bekommen, wie immer gescheitert.

Zweiundzwanzig : 

    20.11. 2011 10:31

    Der einfachste Weg zu gutem Stil: Sich vorher überlegen, was man sagen will. Dann sagt man es einfach, und wenn es einem dann zu einfach erscheint, kann das zwei Gründe haben. Erstens, die Sprache ist nicht aufgeladen genug von ihrem Gegenstand, oder der Gedanke ist so einfach, daß er einen selbst nicht interessiert. In diesem Fall löscht man ihn. Was oft schwierig ist, denn das glaubt der Laie ja meist nicht, daß ihn die eigenen Gedanken nicht interessieren. Im anderen Fall schraubt man etwas rum, ist sich aber bewußt, daß mit Syntaxverkomplizierung und Thesaurus noch kein Text gerettet wurde. Wobei einfach jetzt nicht schlicht bedeuten soll. Wir alle kennen hochkomplizierte, verschachtelte Texte, die großartig sind. Aber solange man nicht bewiesen hat, daß man einfach kann, kann man auch nicht kompliziert. So sinngemäß mein Deutschlehrer in der fünften Klasse.

    Jahre, nachdem ich die Schule verlassen hatte, fand ich einmal ein Aufsatzheft wieder, in dem Herr Suck mir seitenlang Stilfehler angestrichen hatte, plus Erklärung, wie es

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