Arcanum – Das Geheimnis
stehen.
„Das wird kein Zuckerschlecken. Ich hoffe, dass ich meinen Freund in der Bruderschaft so weit bekomme, dass er uns neben der Kombination für den Safe auch einen Plan der Überwachungsanlage beschafft“, bemerkte Silvia, während sie aufmerksam das Haus beobachtete.
Innen an den Fensterscheiben klebten weiße Einbruchsensoren, die zu einer zentralen Alarmanlage gehörten. Auf dem Dach war die entsprechende Sirene mit Blinklicht montiert. Christopher stöhnte hörbar.
„Ich muss jetzt los zu meiner Schwägerin und meine Familie abholen“, log er und schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. Bis zum Abendessen blieben noch vier Stunden. Etwas in ihm wollte weg von hier, wollte nachdenken und Abstand gewinnen von dem Einbruch, den sie ganz real zu planen begonnen hatten. Er könnte Herbert bitten, Silvia nach Hause zu fahren. So sehr ihn der Gedanke erregte, noch einmal Sex mit ihr zu haben, so sehr wusste er auch, dass er alles aufs Spiel setzte, wenn er sich auf ein Verhältnis mit ihr einließ. Silvia runzelte die Stirn und kam ihm zuvor.
„Dann bringst Du mich eben nach Hause. Wir können bei mir noch einen Cappuccino trinken“, sagte sie an Herbert gewandt.
Sie schaute Christopher herausfordernd an. Er fühlte einen Stich, doch welches Recht hatte er schon eifersüchtig zu sein? Christopher lächelte unschuldig und sah Silvia an, in deren Augen es boshaft blitzte.
Sie hakte sich bei Herbert ein und rauschte mit ihm davon. Christopher wartete einen Augenblick, dann ging er zielstrebig zurück zum Parkhaus.
Insgeheim wusste er, dass es noch nicht vorbei war. Wenn er nachher seiner Frau unter die Augen trat, würde sie etwas ahnen? Sollte er ihr alles beichten? Wenn sie ihm überhaupt vergeben könnte, dann müsste er wenigstens zerknirscht versprechen, dass er Silvia nie wieder sehen würde, und das konnte er nicht, noch nicht.
Ach zum Teufel. Sie brauchten Silvia, um an das Buch heranzukommen. Seine Beziehung zu ihr könnte von jetzt an rein geschäftlicher Natur sein. Er entschuldigte seine Feigheit damit, dass eine Rivalität zwischen den beiden Frauen weitere Nachforschungen unmöglich machen würde.
Schließlich zog er sein Handy aus der Tasche und rief seine Schwägerin an. Sein Schwager war am Apparat und teilte ihm mit, dass die Frauen mit den Kindern in der Nachmittagsvorstellung von Harry Potter im Kino Blaue Brücke seien. Auch gut. Er klappte sein Handy zu und ging zu seinem Wagen. Sie mussten das Buch haben, um jeden Preis.
Christopher fuhr zurück zum Haus der Rosenbrüder. Seine Digitalkamera lag noch im Handschuhfach seines Audis.
Ein paar Fotos wären nicht schlecht und könnten Details zutage fördern, die sie übersehen hatten. Er fuhr langsam die Straße entlang. Es brannte Licht und mehrere Wagen standen in der Auffahrt. Eines hatte ein Calwer Kennzeichen. Es schien gerade erst angekommen zu sein, denn in diesem Moment öffnete sich die Fahrertüre. Christopher sah den Mann lediglich von hinten, hatte aber das Gefühl, ihn zu kennen. Er rollte langsam vorbei und schoss mit der linken Hand aufs Geratewohl eine Serie von Bildern. Um nicht verdächtig zu erscheinen, fuhr er weiter und bog später wieder in die Gartentrasse ein. Ein zweites Mal vorbeizufahren erschien ihm zu auffällig, und so bog er an der Neckarbrücke ab in Richtung Lustenau. Er würde seinem Schwager Gesellschaft leisten, bis das Kino aus wäre.
Der Abend verlief unspektakulär. Christopher genoss die seichten Gespräche. Keine Aufregung, keine Fragen, einfach auf der vertrauten Bahn dahin gleiten, ohne Angst haben zu müssen, im nächsten Augenblick in einen Abgrund zu stürzen.
Carolin war ihm nahe wie selten. Sie lächelte ihn verliebt an. Er empfand Schmerz und Reue, aber auch das Glück in ihrer Nähe zu sein. Genau so musste sich Schizophrenie anfühlen. Wie konnte es sein, dass er gerade mit einer anderen Frau geschlafen hatte und nun etwas für Carolin empfand, das ihm weder falsch noch unehrlich erschien? Er hatte Angst gehabt vor diesem Abend, der so harmonisch verlief.
War er Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Vielleicht. Er hatte immer ein Doppelleben geführt. Er bemühte sich, ein soziales Wesen zu sein und die Rolle auszufüllen, die man von ihm erwartete. Seine Lebensumstände hatten ihn sehr früh zu einem emotionslosen Verstandesmenschen gemacht, doch auch der war er nicht wirklich. Er handelte letztendlich moralisch, weil er sich so entschied, nicht weil ihm ein Gewissen keine andere Wahl
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