Archer Jeffrey
bestimmten Aspekt von Shakespeares Werk ausgeschrieben, und Philippa und William erkannten, daß dies die einzige Gelegenheit in ihrem Studentenleben sein würde, bei der sie nicht mit offenem Visier gegeneinander kämpfen konnten. Verstohlen arbeiteten sie sich auf getrennten Wegen durch sämtliche Werke Shakespeares, von Heinrich VI. bis Heinrich VIII. beanspruchten Jakes weit über die vereinbarten Tutorenstunden hinaus und forderten ihn zu immer spitzfindigeren Diskussionen über immer obskurere Stellen heraus.
Das Thema, das in jenem Jahr für den Charles-Oldham-Preis gewählt worden war, lautete: „Die Satire bei Shakespeare“. Troilus und Cressida erforderte in dieser Hinsicht eindeutig die meiste Aufmerksamkeit, doch sowohl Philippa wie William fand, daß es praktisch in jedem der siebenunddreißig Stücke des Dichters satirische Nuancen gab. „Ganz zu schweigen von einem Dutzend Sonetten“, schrieb Philippa in einem der seltenen Augenblicke des Selbstzweifels nach Haus an ihren Vater. Als das Studienjahr zu Ende ging, wurde allen Beteiligten klar, daß entweder William oder Philippa den Preis gewinnen mußte, während der andere zweifellos zweiter werden würde. Dennoch ließ sich niemand auf Spekulationen über den endgültigen Sieger ein. Als der Portier des New College, ein Experte auf diesem Gebiet, seine übliche Wettliste für den Charles-Oldham-Preis aufstellte, setzte er ihre Namen nebeneinander an die erste Stelle und räumte dem Rest des Feldes Chancen von zehn zu eins ein.
Vor dem Abgabetermin für den Preis mußten beide die Jahresschlußprüfungen absolvieren. Philippa und William saßen zwei Wochen lang vormittags und nachmittags mit einer Verbissenheit vor den Fragebögen, die beinahe schon vulgär war. Es überraschte niemanden, daß sie wieder zu den besten ihres Jahrgangs erklärt wurden. An der Universität verbreitete sich das Gerücht, die beiden Rivalen hätten jede der Prüfungen mit „Sehr gut“ abgelegt.
„Ich möchte ja gerne glauben, daß es stimmt“, sagte Philippa zu William. „Doch muß ich dich, fürchte ich, darauf aufmerksam machen, daß ein beträchtlicher Unterschied besteht zwischen einem Vorzüglich und einem schwachen Sehr gut.“
„Ich bin ganz deiner Meinung“, sagte William. „Und sobald du erfährst, wer den Oldham-Preis bekommen hat, wirst du auch wissen, wer das schwache Sehr gut erhalten hat.“
Drei Wochen vor dem Ablieferungstermin arbeiteten beide zwölf Stunden täglich, schliefen über offenen Büchern ein und träumten, daß der andere doch noch einen Schritt voraus sei. Als die Schicksalsstunde schlug, trafen sie einander in der marmorverfliesten Eingangshalle des Prüfungsgebäudes, beide düster vor sich hinbrütend.
„Guten Morgen, William, ich hoffe, deine Bemühungen werden dir einen Platz unter den ersten sechs einbringen.“
„Danke, Philippa. Wenn nicht, werde ich unter den Namen C. S. Lewis, Nichol Smith, Nevil Coghill, Edmund Blunden, R. W. Chambers und H. W. Garrard nach meinem Namen Ausschau halten. Sonst gibt es bestimmt niemanden, den ich fürchten müßte.“
„Ich bin nur froh“, sagte Philippa, als hätte sie die Antwort nicht gehört, „daß du nicht neben mit gesessen hast, als ich die Arbeit verfaßte, und so zum erstenmal seit drei Jahren nicht von mir abschreiben konntest.“
„Das einzige, was ich je von dir abgeschrieben habe, Philippa, war der Fahrplan Oxford-London, der, wie ich später entdeckte, schon überholt war – genau wie deine übrigen Arbeiten.“
Beide gaben ihren fünfundzwanzigtausend Worte umfassenden Aufsatz in der Einreichstelle im Prüfungsgebäude ab, entfernten sich ohne ein weiteres Wort und kehrten in ihre Colleges zurück, um ungeduldig auf das Endergebnis zu warten.
William suchte am Wochenende nach der Abgabe seiner Arbeit Entspannung und Ablenkung, und zum erstenmal seit drei Jahren spielte er ein wenig Tennis gegen ein Mädchen vom St. Anne’s College. Er gewann kein einziges Game, geschweige denn einen Satz. Beim Schwimmen wäre er beinahe ertrunken, genauso übrigens wie beim Staken auf dem Fluß. Er war nur froh, daß Philippa nicht Zeugin seiner schwachen sportlichen Leistungen geworden war.
Am Montagabend, nach einem glanzvollen Dinner mit dem Rektor von Merton, beschloß er, einen Spaziergang am Ufer des Cherwell zu machen, um einen klaren Kopf zu bekommen, bevor er zu Bett ging. Es war noch hell an diesem Maiabend, als er den schmalen Weg zwischen den Mauern von Merton einschlug,
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