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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die chinesische Statue und andere Uberraschungen
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meinem ganzen Leben noch nicht aus Ungarn herausgekommen bin. Als ich jung war, konnte ich es mir nicht leisten, und daß die heutigen Machthaber mir gestatten würden, Ihr schönes England zu besuchen, wage ich sehr zu bezweifeln.“
Er ließ meine Hand los, wandte sich zum Gehen und verschwand bald in den dunklen Gäßchen.
Noch einmal las ich seinen Nachruf in der Times, noch einmal las ich den Artikel über den Einmarsch in Afghanistan und dessen Auswirkungen auf die bevorstehenden Olympischen Spiele in Moskau.
Der Professor hatte recht behalten. Wir haben einander nicht wiedergesehen.

Eine Liebe
    Manche Leute, heißt es, verlieben sich auf den ersten Blick, aber das konnte man von William Hatchard und Philippa Jameson nicht sagen. Sie haßten einander von der allerersten Begegnung an. Dieser wechselseitige Abscheu zeigte sich gleich in der ersten Tutorenstunde ihres ersten Studienjahres. Beide waren Anfang der dreißiger Jahre mit größeren Stipendien nach Oxford gekommen, um englische Sprache und Literatur zu studieren. William nach Merton, Philippa nach Somerville. Beiden war von ihren Schullehrern versichert worden, daß sie die Stars ihres Jahrgangs werden würden.
    Ihr Tutor, Simon Jakes vom New College, war verwirrt und amüsiert zugleich von dem grimmigen Konkurrenzkampf, der sich rasch zwischen seinen beiden intelligentesten Studenten entspann, und er nützte ihre Feindschaft geschickt, um das Beste aus ihnen herauszuholen, ohne ihnen dabei zu erlauben, zum offenen Angriff überzugehen. Philippa, eine attraktive, schlanke Rothaarige mit einer eher hohen Stimme, war genauso groß wie William, und trachtete daher, ihre Wortgefechte nach Möglichkeit stehend, in neuen, hochhackigen Schuhen auszutragen, während William, dessen tiefe Stimme Autorität ausstrahlte, es vorzog, seine Meinungen in sitzender Position zu vertreten. Je stärker ihre Rivalität wurde, desto energischer bemühten sie sich, einander zu übertreffen. Am Ende des ersten Studienjahres waren sie ihren Jahrgangskollegen weit voraus, sie selbst aber lagen Kopf an Kopf. Simon Jakes erzählte dem Anglistik-Professor von Merton, daß er nie ein gescheiteres Pärchen im selben Jahrgang gehabt habe und es nicht mehr lange dauern konnte, bis sie selbst ihm die Stirn boten.
    Während der großen Ferien arbeiteten beide nach einem mörderischen Zeitplan, da sie immer befürchteten, der andere könnte noch ein wenig mehr tun. Sie zogen Blake, Wordsworth, Coleridge, Shelley und Byron gleichsam splitternackt aus und gingen nur mit Keats ins Bett. Am Beginn des zweiten Studienjahres stellten sie fest, wie sehr die Trennung ihre feindseligen Gefühle noch verstärkt hatte, und daß sie beide „Vorzüglich“ für ihre Arbeiten über Beowulf bekamen, besserte die Situation keineswegs. Simon Jakes bemerkte eines Abends am Dozententisch des New College, daß einige seiner Tutorenstunden bestimmt mit einer Schlägerei geendet hätten, wäre Philippa Jameson als Junge zur Welt gekommen.
    „Warum trennst du sie denn nicht?“ fragte der Dean schläfrig.
„Soll ich mir die doppelte Arbeit aufhalsen?“ erwiderte Jakes.
„Sie belehren einander die meiste Zeit über gegenseitig: ich spiele nur den Schiedsrichter.“
Gelegentlich baten ihn die beiden Widersacher um sein Urteil, wer denn nun dem anderen voraus sei, und so sehr vertraute jeder darauf, der bessere zu sein, daß sie das immer in Hörweite des anderen fragten. Jakes war viel zu schlau, um sich ausquetschen zu lassen; statt dessen erinnerte er die beiden daran, daß die Prüfer die letzten und eigentlichen Schiedsrichter sein würden. Also begnügten sie sich damit, einander – selbstverständlich so, daß es der andere hören konnte – , „dieses dumme Weibsbild“ beziehungsweise „dieser arrogante Kerl“ zu nennen. Am Ende des zweiten Studienjahres waren sie beinahe außerstande, sich gleichzeitig im selben Raum aufzuhalten.
In den großen Ferien interessierte sich William vorübergehend für Al Jolson sowie für ein Mädchen namens Ruby, während Philippa mit dem Charleston und einem Leutnant zur See aus Dartmouth liebäugelte. Doch als das neue Semester begann, wurden diese Zwischenspiele niemandem eingestanden und bald vergessen.
Am Anfang des dritten Jahres bewarben sich beide auf Simon Jakes’ Rat um den Charles-Oldham-Shakespeare-Preis, gemeinsam mit allen anderen Studenten ihres Jahrgangs, die ernsthafte Gewinnchancen hatten. Dieser Preis wurde für eine Abhandlung über einen

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