Archer Jeffrey
wollte. Er vergewisserte sich diskret, daß die Leute keine Geschäftsverbindungen in der Stadt hatten, und trug ihre Namen einfach nicht ein. Wenn sie am nächsten Morgen ihre Rechnung bar bezahlten, wurde das Geld eingesteckt. Und falls sie das Personenregister nicht unterschrieben hatten, gab es keinen Nachweis dafür, daß sie jemals das Hotel betreten hatten. Abel war seit langem der Ansicht, daß jeder Hotelgast automatisch registriert werden sollte. Im Plaza in New York geschah dies bereits.
Im Speisesaal war das System verfeinert. Die Zahlungen von Zufallsgästen, sei es beim Mittag- oder beim Abendessen, wurden natürlich gestohlen. Das hatte Abel erwartet, aber er brauchte ein wenig länger, um die Restaurantrechnungen zu kontrollieren und festzustellen, daß die Rezeption mit den Angestellten des Speisesaals zusammenarbeitete, um so sicherzugehen, daß die Gäste, die nicht eingetragen waren, keine Restaurantrechnungen bekamen. Überdies gab es ständig zerbrochenes Geschirr, Reparaturen, Besteck fehlte, Lebensmittel und Bettwäsche verschwanden, ja, gelegentlich fehlte sogar eine Matratze. Nachdem Abel jede Abteilung gründlich überprüft und Augen und Ohren offengehalten hatte, kam er zu dem Schluß, daß die Hälfte des Hotelpersonals in das Komplott verwickelt und keine einzige Abteilung einwandfrei war.
Als Abel im Richmond eingetreten war, hatte er sich gewundert, wieso der Direktor Desmond Pacey nicht schon längst bemerkt hatte, was unter seinen Augen vor sich ging. Als Grund nahm er fälschlich an, daß der Mann zu faul sei und sich nicht die Mühe machen wollte, irgendwelchen Beschwerden nachzugehen. Selbst Abel brauchte lange, bis er feststellte, daß der »faule«
Direktor der Obergauner hinter der ganzen Verschwörung war und daß sie deshalb so gut funktionierte. Pacey hatte mehr als dreißig Jahre für die Richmond-Gruppe gearbeitet; es gab kein einziges Hotel, in dem er nicht zu der einen oder anderen Zeit eine leitende Stellung innegehabt hätte, was Abel für die Solvenz der anderen Hotels Böses ahnen ließ. Überdies war Desmond Pacey ein persönlicher Freund des Hotelbesitzers Davis Leroy. Das Richmond in Chikago verlor dreißigtausend Dollar im Jahr. Abel wußte, daß die Situation über Nacht geändert werden konnte, wenn man die Hälfte der Belegschaft entließ, beginnend mit Desmond Pacey. Das aber war ein Problem, denn Davis Leroy hatte in dreißig Jahren kaum jemanden entlassen. Er fand sich mit den Problemen ab und hoffte, daß sie sich mit der Zeit von selbst lösen würden. Soviel Abel sehen konnte, stahlen die Angestellten weiterhin wie die Elstern, bis sie widerstrebend in Pension gingen.
Abel war sich klar, daß er eine entscheidende Unterredung mit Davis Leroy herbeiführen mußte, und zu diesem Zweck fuhr er Anfang 1928 mit dem Expreßzug nach St. Louis und von dort nach Dallas. Er hatte einen zweihundert Seiten langen Bericht bei sich, den er in drei Monaten in seinem kleinen Zimmer in der Dependance des Hotels angefertigt hatte. Als Davis Leroy das Beweismaterial durchgelesen hatte, sah er Abel bestürzt an.
»Diese Leute sind meine Freunde«, waren seine ersten Worte, als er die Mappe zuklappte. »Einige von ihnen haben dreißig Jahre mit mir zusammengearbeitet. Zum Teufel, es hat immer kleine Betrügereien in diesem Geschäft gegeben, aber jetzt wollen Sie behaupten, daß diese
Leute mich hinter meinem Rücken planmäßig beraubt haben?« »Manche von ihnen haben das dreißig Jahre lang getan, glaube ich.« »Was in drei Teufels Namen soll ich denn tun?« fragte Leroy. »Ich kann dem Unfug ein Ende bereiten, wenn Sie Desmond Pacey
entlassen und mir carte blanche geben, ab morgen jeden hinauszuwerfen, der mit den Diebstählen zu tun hat.«
»Mein lieber Abel, ich wollte, das Problem wäre so einfach.« »Das Problem ist so einfach«, sagte Abel. »Und wenn Sie mich nichts gegen die Schuldigen unternehmen lassen, dann trete ich in dieser Sekunde zurück, weil ich nicht daran interessiert bin, ein Angestellter des korruptesten Hotels von Amerika zu sein.«
»Könnten wir Desmond Pacey nicht zum stellvertretenden Direktor degradieren? Dann mache ich Sie zum Direktor, und Sie könnten sich mit dem Problem befassen.«
»Niemals«, erwiderte Abel. »Pacey hat noch zwei Jahre vor sich und hat das gesamte Personal fest in der Hand. Bis ich ihn zur Räson gebracht habe, sind Sie wahrscheinlich tot oder bankrott oder beides, denn ich vermute, daß Ihre übrigen Hotels
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