Archer Jeffrey
sich von Milly vorstellen zu lassen. Fast zwei Meter groß mit dunklen, beinahe schwarzen Augen und glattem dunklen Haar, wirkte er sportlich und schlank. Anne war überaus erfreut, diesen jugendlich und energisch aussehenden Mann als Partner für den Abend zu haben, während Milly sich mit ihrem Mann begnügen mußte, der, verglichen mit seinem Schulkollegen, wesentlich älter und gesetzter wirkte. Henry Osborne trug einen Arm in einer Schlinge, die seine Harvard-Krawatte beinahe verdeckte.
»Eine Kriegsverletzung?« fragte Anne mitfühlend.
»Nein, eine Woche nach meiner Rückkehr von der Westfront bin ich die Treppe hinuntergefallen«, erwiderte er lachend.
Es wurde einer der für Anne jetzt so seltenen Abende, an dem die Zeit angenehm und rasch verflog. Henry Osborne beantwortete alle ihre neugierigen Fragen; nach seinem Abgang von Harvard hatte er in einer Grundstücksmaklerfirma in seiner Geburtsstadt Chicago gearbeitet, sich aber bei Ausbruch des Krieges nach Übersee gemeldet. Er wußte unzählige Geschichten von Europa zu erzählen und von seinem Leben als junger Leutnant, der die Ehre Amerikas an der Marne verteidigt hatte. Milly und John hatten Anne seit Richards Tod nicht mehr so oft lachen gehört, und sie blinzelten einander wissend zu, als Henry fragte, ob er Anne nach Hause bringen dürfe.
»Was werden Sie jetzt machen, nachdem Sie in das Land der Heldensöhne zurückgekehrt sind?« erkundigte sich Anne, während Henry Osborne seinen Stutz hinaus auf die Charles Street lenkte.
»Hab mich noch nicht festgelegt«, sagte er. »Zum Glück hab ich ein wenig Geld, so daß ich nichts übereilen muß. Vielleicht baue ich sogar hier in Boston meine eigene Maklerfirma auf. Seit meiner Zeit in Harvard habe ich mich hier wie zu Hause gefühlt.«
»Sie werden also nicht nach Chikago zurückkehren?«
»Nein, es zieht mich nichts zurück. Meine Eltern sind beide gestorben, und ich habe keine Geschwister. Ich kann also, wo immer ich will, neu beginnen. Wo soll ich einbiegen?«
»Die erste Straße rechts«, sagte Anne.
»Sie wohnen auf Beacon Hill?«
»Ja. Etwa hundertfünfzig Meter nach rechts, die Chestnut Street hinauf; es ist das rote Haus an der Ecke von Louisburg Square.«
Henry Osborne parkte den Wagen und begleitete Anne zum Haustor.
Nachdem er sich verabschiedet hatte, war er so rasch verschwunden, daß sie nicht einmal Zeit hatte, ihm zu danken. Sie schaute dem Wagen nach, der langsam Beacon Hill hinunterfuhr, und wußte, daß sie ihn wiedersehen wollte. Als er am nächsten Morgen anrief, war sie entzückt, aber nicht wirklich überrascht.
»Boston Symphony Orchestra: Mozart und dieser neue schillernde Komponist Mahler. Nächsten Montag. Kann ich Sie überreden?«
Anne war ein wenig verwirrt, daß sie sich so sehr auf diesen Montag freute. Es schien endlos lang her, daß ein Mann, den sie mochte, ihr den Hof gemacht hatte. Henry Osborne holte sie pünktlich ab, sie gaben einander ein wenig verlegen die Hand, und er akzeptierte einen Highball.
»Es muß hübsch sein, am Louisburg Square zu wohnen. Sie haben es gut getroffen.«
»Ja, vermutlich. Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich bin in der Commonwealth Avenue geboren und aufgewachsen. Eigentlich finde ich es hier ein wenig beengt.«
»Falls ich mich entschließe, in Boston zu bleiben, werde ich vielleicht auch ein Haus auf dem Hügel kaufen.«
»Es sind nicht viele zu haben«, sagte Anne, »aber vielleicht haben Sie Glück. Sollten wir nicht gehen? Es ist mir unangenehm, zu spät in ein Konzert zu kommen und anderen Leuten auf die Zehen zu treten, um zu meinem Sitz zu gelangen.«
Henry schaute auf die Uhr. »Ja, Sie haben recht, wir sollten den Auftritt des Dirigenten nicht versäumen. Aber um die Füße der anderen Leute müssen Sie sich keine Sorgen machen, wir haben Ecksitze.«
Nachher, noch umrauscht von den Kaskaden der Musik, erschien es ganz natürlich, daß Henry Annes Arm nahm, als sie ins Ritz gingen. Der einzige, der dies seit Richards Tod getan hatte, war William, und ihn hatte Anne dazu überreden müssen, weil er es »weibisch« fand. Wieder vergingen die Stunden wie im Flug. War es das ausgezeichnete Essen oder Henrys Gesellschaft? Diesmal lachte Anne über seine Schnurren aus Harvard und weinte über seine Kriegserinnerungen. Obwohl sie wußte, daß er jünger wirkte als sie selbst, fühlte sie sich in seiner Gegenwart köstlich jung und unerfahren. Sie erzählte ihm vom Tod ihres Mannes und vergoß ein paar Tränen. Er nahm ihre Hand, und
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