Archer Jeffrey
sie erzählte stolz und voller Liebe von ihrem Sohn. Er bemerkte, daß er sich schon immer einen Sohn gewünscht habe. Chikago und sein eigenes Zuhause erwähnte Henry kaum, aber Anne war überzeugt, daß er seine Familie vermißte. Als er sie an diesem Abend nach Hause brachte, blieb er für einen kurzen Drink und küßte sie sanft auf die Wange, als er ging. Bevor sie einschlief, durchlebte Anne in Gedanken nochmals jede Minute des Abends.
Dienstag gingen sie ins Theater, Mittwoch besichtigten sie Annes Landhaus auf Cape Cod, Donnerstag tanzten sie zu Grizzly Bear und Temptation Rag, Freitag wanderten sie durch ein paar Antiquitätenläden und Samstag schliefen sie zusammen. Milly und John Preston zeigten sich absolut entzückt, daß ihre Verkupplungsversuche endlich von Erfolg gekrönt waren, und Milly erzählte in ganz Boston, daß sie die beiden zusammengebracht hatte. Die Verlobung im folgenden Sommer war für niemanden eine Überraschung außer für William. Er fand Henry von dem Moment an, in dem Anne die beiden mit einiger Besorgnis bekannt gemacht hatte, besonders unsympathisch. Ihr erstes Gespräch spielte sich so ab, daß Henry eine Menge Fragen stellte, um zu dokumentieren, daß er Williams Freund werden wollte, und William einsilbig antwortete, um zu dokumentieren, daß er eben dies ablehnte. Und diesen Standpunkt behielt er auch bei. Anne führte die Antipathie ihres Sohnes auf verständliche Eifersucht zurück; schließlich war William seit Richards Tod der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen. Überdies erschien es nur natürlich, daß nach Williams Ansicht niemand den Platz seines Vaters einnehmen konnte. Anne überzeugte Henry, daß William mit der Zeit über seine Verärgerung hinwegkommen würde.
Im Oktober desselben Jahres, etwa zehn Monate, nachdem sie einander kennengelernt hatten, wurden Anne Kane und Henry Osborne in der Old North Church getraut. Um der Hochzeit nicht beiwohnen zu müssen, täuschte William eine Krankheit vor und blieb in der Schule. Die Großmütter kamen zwar zur Trauung, machten aber aus ihrer Mißbilligung über Annes Wiederverheiratung - besonders mit einem Mann, der so viel jünger zu sein schien - kein Hehl. »Das kann nur schlecht ausgehen«, prophezeite Großmutter Kane.
Die Jungvermählten reisten am folgenden Tag nach Griechenland und kehrten erst in der zweiten Dezemberwoche in das Red House auf dem Hügel zurück - gerade rechtzeitig, um William willkommen zu heißen, der über die Weihnachtsferien nach Hause kam. William war verstört, als er feststellen mußte, daß das Haus neu eingerichtet war und kaum mehr an seinen Vater erinnerte. Obwohl er von Henry ein Fahrrad bekam - eine Bestechung, wie William es bei sich nannte -, änderte sich nichts an seiner Einstellung seinem Stiefvater gegenüber. Henry Osborne fand sich resigniert mit dieser Ablehnung ab. Anne war etwas betrübt, daß ihr prächtiger neuer Ehemann sich so wenig bemühte, die Zuneigung ihres Sohnes zu gewinnen.
William fühlte sich in seinem veränderten Zuhause nicht mehr wohl und verschwand oft für viele Stunden. Wann immer Anne sich erkundigte, wohin er denn ginge, erhielt sie keine genaue Auskunft; bestimmt aber besuchte er nicht eine der Großmütter. Als die Ferien zu Ende gingen, war William mehr als froh, wieder in die Schule zurückkehren zu können, und Henry war über seine Abreise nicht traurig. Nur Anne hatte ein ungutes Gefühl, wenn sie an die beiden Männer in ihrem Leben dachte.
9
»Auf, Junge, auf.«
Einer der Soldaten stieß seinen Gewehrkolben in Wladeks Seite. Erschreckt fuhr der Junge auf und schaute auf das Grab seiner Schwester und auf die Gräber Leons und des Barons. Seine Augen blieben trocken, als er sich dem Soldaten zuwandte.
»Ich werde leben, du wirst mich nicht töten«, sagte er auf polnisch. »Das ist mein Haus und du bist auf meinem Land.«
Der Soldat spuckte Wladek an, dann schob er ihn auf den Rasen zurück, wo die Bediensteten umherstanden. Alle hatten etwas an, das wie graue Pyjamas aussah, und auf dem Rücken hatten sie Nummern. Wladek war über den Anblick zutiefst erschrocken; jetzt wußte er, was ihm bevorstand. Die Soldaten brachten ihn zur Nordseite des Schlosses und ließen ihn niederknien. Er spürte ein Messer über seinen Kopf streichen, und sein dichtes schwarzes Haar fiel ins Gras; wie ein Schaf wurde er geschoren, und mit zehn kräftigen Schnitten war alles erledigt. Kahl rasiert, befahl man ihm, die neue Uniform anzuziehen, ein graues
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