Archer Jeffrey
es mit einem Jungen namens Matthew Lester aus New York, dessen Vater ebenfalls Bankier war.
William gewöhnte sich rasch an den Schulalltag. Aufstehen um 7.30 Uhr, Waschen, Frühstück im großen Speisesaal mit sämtlichen Mitschülern - zweihundertzwanzig Jungen, die Eier, Speck und Porridge vertilgten. Nach dem Frühstück Besuch der Kapelle. Drei Unterrichtsstunden zu fünfzig Minuten vor dem Lunch, und zwei nachher. Dann eine Musikstunde, die William nicht leiden konnte, weil er keinen richtigen Ton herausbrachte und auch keine Lust hatte, ein Instrument zu spielen. Fußball im Herbst, Eishockey und Squash im Winter, Rudern und Tennis im Frühling - es blieb ihm wenig Freizeit. Als Stipendiat in Mathematik erhielt er dreimal in der Woche Privatunterricht von seinem Housemaster G. Raglan, Esquire, von den Jungen Grumpy genannt.
Während des ersten Jahres erwies sich William seines Stipendiums mehr als würdig; in beinahe jedem Gegenstand war er unter den ersten, und in Mathematik allen anderen weit voraus. Nur sein neuer Freund Matthew Lester war ein wirklicher Rivale, und das vermutlich, weil sie beide das Zimmer teilten. William war nicht nur ein ausgezeichneter Schüler, sondern erwarb sich auch einen Ruf als Finanzmann. Obwohl seine erste Erfahrung an der Börse eher niederschmetternd gewesen war, hielt er an der Überzeugung fest, daß man, um wirklich Geld zu machen, am Aktienmarkt verdienen müsse. Mißtrauisch las er das Wall Street Journal, und mit zwölf Jahren begann er mit einem imaginären Portfolio zu experimentieren. Er notierte seine imaginären Käufe und Verkäufe, die guten und die weniger guten, in einem neuen Kassenbuch, und verglich an jedem Monatsende seinen Stand mit dem übrigen Markt. Die allgemein bekannten, führenden Aktien interessierten ihn nicht, er konzentrierte sich auf unbekannte Firmenanteile, von denen manche gar nicht an der Börse gehandelt wurden, so daß man immer nur einige Aktien erwerben konnte. Von seinen Anlagen erwartete William vielerlei: ein angemessenes Verhältnis zwischen Einkaufspreis und Verzinsung, eine hohe Wachstumsrate, eine gute Basis der Aktiva und günstige Wiederverkaufschancen. Er fand nicht viele Aktien, die diesen strengen Ansprüchen genügten, aber was er fand, brachte ihm fast immer einen Gewinn.
Sobald er feststellte, daß er mit seinem imaginären Anlageprogramm jedesmal besser war als der Dow-Jones-Index, war er bereit, wieder eigenes Geld anzulegen. Er begann mit hundert Dollar und hörte nicht auf, seine Methode zu verfeinern. Was stieg, behielt er, was fiel, wurde sofort verkauft. Sobald Aktien den doppelten Wert erreicht hatten, verkaufte er die Hälfte und betrachtete die ihm verbleibende Hälfte als Bonus.
Manche seiner Aktien, wie Eastman Kodak und IBM, entwickelten sich zu erstklassigen Papieren. Er investierte auch in das erste Versandhaus, weil er überzeugt war, daß dieses Geschäft eine große Zukunft haben würde.
Als das erste Schuljahr zu Ende ging, beriet er nicht nur einen großen Teil des Lehrkörpers, sondern auch einige Eltern. William Kane war glücklich in seiner Schule.
Seit Williams Abreise nach St. Paul fühlte sich Anne Kane einsam und unglücklich. Die Familie bestand jetzt nur mehr aus den beiden betagten Großmüttern, und Anne wurde sich sehr deutlich bewußt, daß sie über dreißig und ihre jugendliche Schönheit verblaßt war. Sie begann wieder mit ein paar alten Freunden zu verkehren, die sie seit Richards Tod kaum mehr gesehen hatte. John Preston und seine Frau Milly, Williams Taufpatin, die sie seit ihrer Kindheit kannte, luden sie zum Nachtessen oder ins Theater ein und sorgten dafür, daß immer ein Partner für Anne mit dabei war. Die Auswahl der Prestons war allerdings nicht nach Annes Geschmack, und sie lachte insgeheim über Millys vergebliche Versuche, ihr einen Mann zuzuschanzen. Im Januar 1919, kurz nachdem William für das Wintersemester in die Schule zurückgekehrt war, wurde Anne wieder einmal zu einem Abendessen zu viert geladen. Milly sagte ihr, daß sie den vierten, einen gewissen Henry Osborne, selbst nicht kenne, daß er jedoch vermutlich zur gleichen Zeit wie John in Harvard gewesen war.
»Eigentlich«, beichtete Milly am Telefon, »weiß John sehr wenig von ihm, außer daß er recht gut aussieht.«
Mit dieser Behauptung hatte John, wie Anne und Milly feststellen konnten, völlig recht. Als Anne eintrat, wärmte sich Henry Osborne gerade vor dem Kamin, und er stand sofort auf, um
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