Archer Jeffrey
hoffte.
Es war kurz vor sieben am Freitag, als ich Christina endlich in der Türöffnung stehen sah. Sie trug ein elegantes blaues Kostüm, das fast bis zum Hals zugeknöpft war, und dazu eine weiße Bluse, was aussah, als sei sie gerade auf dem Weg zu einer Konferenz. Ihr langes blondes Haar war streng nach hinten gekämmt, um den Eindruck der Unnahbarkeit zu erwecken, doch wie sehr sie sich auch bemühen mochte, in meinen Augen war sie einfach nur schön. Ich stand auf und hob den Arm. Sie kam schnellen Schrittes herüber und nahm neben mir Platz. Wie küßten uns nicht, schüttelten uns auch nicht die Hand und sprachen eine ganze Weile nicht miteinander.
»Ich danke dir, daß du gekommen ist«, sagte ich.
»Ich hätte es nicht tun sollen, es war dumm von mir.«
Einige Zeit verstrich, bevor einer von uns wieder das Wort ergriff.
»Darf ich dir einen Kaffee eingießen?« fragte ich.
»Ja, gern.«
»Schwarz?«
»Ja.«
»Du hast dich nicht verändert.«
Wie banal das alles doch für einen unbeteiligten Zuhörer klingen mußte!
Sie nippte an ihrem Kaffee.
Ich hätte sie in diesem Augenblick in die Arme nehmen müssen. Aber wie konnte ich wissen, ob sie das wollte? Ein paar
Minuten lang sprachen wir über belanglose Dinge und vermieden es dabei, einander in die Augen zu sehen, bis ich plötzlich sagte: »Weißt du eigentlich, daß ich dich noch immer liebe?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie antwortete: »Natürlich weiß ich das. Und ich empfinde für dich noch immer dasselbe wie an dem Tag, als wir auseinandergingen. Und vergiß nicht, daß ich dich jeden Tag vor Augen habe – durch Nicholas.«
Sie beugte sich vor und sprach beinahe flüsternd. Sie erzählte mir von ihrem Gespräch mit ihren Eltern, das vor mehr als fünf Jahren stattgefunden hatte, so, als wären wir in der Zwischenzeit nie getrennt gewesen. Ihr Vater hatte keineswegs verärgert reagiert, als er erfuhr, daß sie schwanger war; dennoch war die Familie am darauffolgenden Morgen nach Vancouver abgereist. Dort hatten sie bei den Willings, einer mit den von Braumers befreundeten Familie aus München, gewohnt. Deren Sohn, Klaus, war schon immer in Christina vernarrt gewesen und störte sich weder daran, daß sie schwanger war, noch an der Tatsache, daß sie für ihn nichts empfand. Er glaubte fest daran, daß sich mit der Zeit schon alles zum Guten wenden werde.
Das tat es nicht, da es nicht so kommen konnte. Christina hatte immer gewußt, daß es nie funktionieren würde, wie sehr sich Klaus auch Mühe gäbe. Sie verließen sogar Montreal, um ihre Beziehung doch noch zu einem Erfolg zu machen. Klaus kaufte ihr das Geschäft in Toronto und bot ihr jeden erdenklichen Luxus, der für Geld zu haben war, aber auch das änderte nichts an der Lage der Dinge. Ihre Ehe war eine einzige Heuchelei. Dennoch brachten sie es nicht übers Herz, ihre Familien durch eine Scheidung noch unglücklicher zu machen. Daher hatten sie von Anfang an nebeneinander hergelebt …
Als Christina ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, berührte ich ihre Wange, und sie nahm meine Hand und küßte sie. Von diesem Augenblick an nutzten wir jeden Moment, uns heimlich zu treffen, Tag oder Nacht. Es war das glücklichste Jahr meines Lebens, und ich war außerstande, vor irgend jemandem meine Gefühle zu verbergen.
Unser »Verhältnis« – so nannten es böse Zungen – wurde zwangsläufig stadtbekannt. Wie diskret wir auch immer vorzugehen versuchten, Toronto war doch, wie ich schnell herausfand, nur ein kleines Nest, voll von Leuten, die Freude daran hatten, diejenigen, denen auch wir nahestanden, davon zu unterrichten, daß man uns regelmäßig, sogar in den frühen Morgenstunden, beim Verlassen meiner Wohnung zusammen gesehen hatte.
Dann war es urplötzlich mit unserer Bewegungsfreiheit in der ganzen Sache vorbei: Christina eröffnete mir, sie sei wieder schwanger. Nur brauchte diesmal keiner von uns beiden davor Angst haben.
Sobald sie Klaus davon informiert hatte, wurde die Scheidung so schnell abgewickelt, wie das der beste Scheidungsanwalt von Graham, Douglas & Wilkins vermochte. Wir heirateten nur wenige Tage, nachdem die letzten Papiere unterzeichnet waren. Uns beiden tat leid, daß Christinas Eltern es vorzogen, der Hochzeit nicht beizuwohnen, aber ich konnte nicht verstehen, warum Du nicht kamst.
Der Rabbi konnte seine Intoleranz und Kurzsichtigkeit noch immer nicht begreifen. Wenn auf dem Spiel stand, daß man sein einziges Kind verliert, dann
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