Archer Jeffrey
erinnerte.
Zwei Tage später erwachte Charlie in einem Lazarettzelt, das sich dreihundert Meter hinter der Linie befand. Er schlug die Augen in dem Moment auf, als sich ein junges Mädchen in dunkelblauer Tracht über ihn beugte. Sie sagte etwas zu ihm. Doch das erkannte er nur daran, daß sich ihre Lippen bewegten, hören konnte er es nicht. Gott sei Dank, dachte Charlie, ich lebe noch, und jetzt werde ich bestimmt nach England zurückgeschickt. Wenn ein Soldat erst vom Lazarettarzt für taub erklärt worden war, wurde er heimgesandt. Verordnung des Königs.
Nach einer Woche konnte Charlie wieder normal hören, und er lächelte zum erstenmal wieder, als er seine Schwester Grace neben seinem Bett stehen und ihm eine Tasse Tee einschenken sah. Sie hatte um Versetzung in ein anderes Lazarettzelt gebeten, als sie erfahren hatte, daß ein Soldat namens Trumper dort ohne Bewußtsein lag. Sie versicherte ihrem Bruder, daß er ziemliches Glück gehabt hatte. Er war mit einer Mine hochgegangen, erzählte sie ihm, hatte aber nur eine Zehe verloren – nicht einmal die große, scherzte sie.
Charlie machte sie mit dieser Neuigkeit keine Freude; denn wäre es die große Zehe gewesen, hätte er jetzt nach Hause gedurft.
»Ansonsten bloß ein paar Schnitt- und Schürfwunden. Nichts Ernstes. Du wirst schon in ein paar Tagen wieder an der Front sein«, fügte Grace bekümmert hinzu.
Die nächsten Tage verbrachte Charlie in einem gnädigen Dämmerzustand. Er schlief und wachte wieder auf. Er fragte sich, ob Tommy überlebt hatte.
»Wissen Sie etwas von Private Prescott?« fragte Charlie, als der Offizier vom Dienst Ende der Woche seine Runde machte.
Der Leutnant schaute unter den Papieren auf seinem Klemmbrett nach und zog die Brauen zusammen. »Er steht unter Arrest. Sieht aus, als wurde er vielleicht vors Kriegsgericht gestellt.«
»Was? Wieso?« rief Charlie erregt.
»Keine Ahnung«, antwortete der junge Leutnant und ging zum nächsten Bett.
Am folgenden Tag aß Charlie bereits ein wenig, machte am Tag darauf ein paar Schritte, konnte eine Woche später wieder laufen und wurde genau einundzwanzig Tage, nachdem Lieutenant Makepeace »Mir nach!« gebrüllt hatte, wieder an die Front geschickt.
Kaum war Charlie in den Reservegräben zurück, mußte er feststellen, daß von den ursprünglich zehn Mann seiner Abteilung nur drei den Sturmangriff überlebt hatten, und Tommy war immer noch nicht zurück. Neue Männer waren aus England gekommen und hatten an diesem Morgen die Plätze der Gefallenen eingenommen, um mit der Routine – vier Tage in den Reservegräben, vier Tage in den vorderen Gräben – zu beginnen. Sie behandelten Charlie, als wäre er ein Veteran.
Er war erst wenige Stunden zurück, als ein Tagesbefehl ausgehängt wurde, auf dem zu lesen stand, daß sich Lance Corporal Trumper am nächsten Tag um elf Uhr bei Colonel Hamilton zu melden habe.
»Was will der Colonel von mir?« fragte Charlie den Unteroffizier vom Dienst.
»So was bedeutet gewöhnlich entweder eine Ladung vors Kriegsgericht oder eine Ordensverleihung – für was anderes hat der Colonel keine Zeit. Und denk dran, daß mit dem Kerl nicht gut Kirschen essen ist, also hüte deine Zunge, denn er ist ziemlich hitzköpfig.«
Punkt elf Uhr stand Lance Corporal Trumper zitternd vor dem Zelt des Obersts und wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt. Doch die Angst vor Colonel Hamilton war größer. Ein paar Minuten nach elf trat der Sergeant-Major Philpott, der Hauptfeldwebel der Kompanie, heraus, um ihn zu holen.
»Sie müssen strammstehen, salutieren, Namen, Dienstgrad und -nummer nennen!« bellte Philpott. »Und reden Sie nicht, wenn Sie nicht dazu aufgefordert werden«, fügte er barsch hinzu.
Charlie marschierte in das Zelt und hielt vor dem Schreibtisch des Obersts an. Er salutierte und sagte: »Trumper, Lance Corporal, 7312087, meldet sich zur Stelle, Sir.« Es war das erste Mal, daß er den Colonel auf einem Stuhl und nicht auf einem Pferd sitzen sah.
»Ah, Trumper.« Der Colonel blickte auf. »Schön, daß Sie zurück sind. Freut mich, daß Sie sich so schnell erholt haben.«
»Danke, Sir.«
»Es gibt leider ein kleines Problem mit einem Mann Ihres Zugs, und ich hoffe, daß Sie vielleicht etwas Licht in die Sache bringen können.«
»Ich ‘elfe gern, wenn ich kann, Sir.«
»Gut, denn es hat den Anschein«, sagte der Colonel und hob sein Monokel zum linken Auge, »daß Prescott« – er studierte ein braunes Formular, das vor ihm auf dem Schreibtisch
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