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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chamäleon Cacho
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Zahnbürste, Zahnpasta, ein Päckchen Salzgebäck und eine Flasche argentinischen Whisky. Dann zog er die Krawatte und das Jackett aus und befreite sich vom Gewicht des Halfters und der Pistole, die er am Gürtel trug. Er ging ins Bad, um sich frisch zu machen und das unvermeidliche Glas mit Kalkflecken zu holen, das neben dem Spiegel stehen würde.
    Er hatte nicht die Kraft gehabt, bis zu seiner Unterkunft in Moquehue durchzufahren. Er musste es herausfinden, und wenn er ein wenig Abstand gewonnen hätte, würde er vielleicht gar nicht mehr dorthin zurückkehren.
    Mit nass glänzendem Gesicht, das nicht trocknen wollte, öffnete er das Fenster, um frische Luft hereinzulassen; wie erwartet, war es kühler geworden. Er musste sich sammeln, und während er auf der Bettkante saß, versuchte er, an nichts anderes zu denken als an die Wärme des Alkohols, der durch seine Kehle rann.
    Als er sich zum zweiten Mal einschenkte, sagte er sich, dass es nun an der Zeit sei, und mit einem Ruck öffnete er den Aktenkoffer und kippte den Inhalt auf das Bett; die Haftbefehle mit dem Stempel der Bundespolizei, mehrere Polizeifunkberichte und eine Zeitung, die auf der Seite aufgeschlagen war, auf der sich das Foto befand, das angeblich den Mörder Márquez zeigte. Das falsche Foto, das wie fallende Dominosteine Gesichter begrub, bis nur noch eins übrig war: das von der Frau, die mit dem Gesicht zur Wand weinte.
    Sie hieß Mabel. Sie war eine Guerillera gewesen und hatte stets den Eindruck eines verschreckten Vogels gemacht, was nicht ihren Taten entsprach. Als man sie in den ›Keller‹ geschickt hatte, war sie der Schützling eines Marineoffiziers gewesen und hatte zu der Gruppe der »Überläufer« gehört, die sich um Papierkram und Ausweise kümmerte. Das war im Sommer gewesen, vor der Fußballweltmeisterschaft, und er hatte Mühe gehabt, diesen Zusammenhang zu begreifen. Der Comisario, der den Haufen anführte, zu dem sie gehörte, hatte es ihm mit einem obszönen Beispiel erklärt; sie sei so etwas wie die Kriegstrophäe des Kommandanten.
    Mabel. Weshalb erinnerte er sich ausgerechnet jetzt an sie, nach so langer Zeit, wo das Einzige, was er bislang nicht hatte vergessen können, der Geruch war? Dieser Geruch nach Niederlage und Angst, nach einem Tier in der Falle, der den ›Keller‹ erfüllte. Eine unvergessliche Mischung aus Schweiß, Kloake, Feuchtigkeit und Schiffsfarbe.
    Erst danach war ihm klar geworden, dass es der größte Irrtum seines Lebens gewesen war, zu dieser Zeit an diesem Ort zu sein. Es war einer dieser Irrtümer, von denen es heißt, dass man nur einmal im Leben die Gelegenheit hat, sie zu begehen, und dass von da an alles anders sein würde. Er war jung gewesen und ehrgeizig und überzeugt, dass man den Krieg gegen die roten Horden nicht gewinnen konnte, ohne sich dabei die Finger schmutzig zu machen. Was für ein Krieg? Wo waren die Helden dieses Krieges? Er gehörte mit Sicherheit nicht in diese Kategorie. Und falls es einen gab, fragte er sich, ob dieser sich nicht mit seinen Medaillen zu den stummen Toten geflüchtet hatte.
    Vielleicht weil die Vorsicht ihm gebot, einen Umweg zu machen, rief er sich diesen Ort und diese Zeit, die er mit niemandem teilen konnte, nur zögernd ins Gedächtnis zurück.
    Der ›Keller‹ war ein Frachtschiff im Besitz der Marine gewesen, das am Flussufer gelegen hatte. Die Kommandomitglieder anderer Einheiten hatten sich darüber lustig gemacht und behauptet, dass dort alles, was sich bewegte, militärisch gegrüßt, und alles, was sich nicht bewegte, fortwährend gestrichen wurde. Es hatte kaum einen Tag gegeben, an dem man nicht irgendeinen Gefangenen gesehen hatte, der die öliggraue Farbe der engen Zellen erneuerte, die entlang einer fensterlosen Wand errichtet worden waren.
    Er hatte schnell begriffen, dass die Regeln streng waren und nichts mit dem Alltag an Land zu tun hatten.
    Zum einen gab es sie, die »Kommandos«, die aus einer merkwürdigen Mischung aus Marinesoldaten, Polizisten, Strafgefangenen und den sogenannten »Federicos«, wie die von der Bundespolizei genannt wurden, bestanden. Dann waren da die Gefangenen, das Kanonenfutter. Und irgendwo dazwischen befanden sich die »Überläufer«, die Gefangenen, die die Fronten gewechselt hatten und aufgrund einer geheimen Spielregel manchmal mehr Macht besaßen als die »Kommando«-Mitglieder. Sie mischten bei jeder Drecksarbeit mit, stets mit der Wut dessen, der eine alte Schuld zu begleichen hat.
    Nicht alle,

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