Argemí, Raúl
um genau zu sein. Mabel, der verschreckte Vogel, schlug und folterte nicht; sie beschränkte sich darauf, die Verhöre zu tippen. Stundenlang transkribierte sie die Bänder. Stundenlang hörte sie sich die Fragen und die Schreie der Verhörten an. Eine Arbeit, die keiner machen wollte. Die »Sekretärin des elektrischen Knüppels«, hatte sie irgendein Arschloch getauft.
Kollaborateure gab es nicht viele. Fünf oder sechs, die die Seiten gewechselt hatten, um ihr Leben zu retten, doch mussten sie jeden Tag aufs Neue etwas dafür tun. Er verachtete sie. Und er war überzeugt, dass sie, egal, was sie taten, trotzdem Todeskandidaten waren. Sie wussten einfach zu viel.
Die »Überläufer« hatten sich im hintersten Winkel des ›Kellers‹ einen relativ großen Raum unter den Nagel gerissen. Dieser Raum, ein L mit einer Schräge auf der Seite mit der kürzesten Stütze, war entstanden, als jemand die Zellenwände mit mehr Kraft als Verstand montiert und für die Treppe keine Lösung gefunden hatte.
An seinem ersten Diensttag, nachdem er von einer ergebnislosen Jagd zurückgekommen war, weil die Guerilleros mit Arsenkapseln Selbstmord begangen hatten, geriet er, auf der Suche nach der Küche der »Kommandos« und einem Kaffee, aus Versehen in diese Höhle unter der Treppe. Drei saßen an einem Tisch und spielten Monopoly. Betretene Stille machte sich breit, als sie ihn sahen. Es gab die stillschweigende Übereinkunft, dass niemand außer ihnen den Raum betreten durfte.
Er fühlte sich fehl am Platz und war versucht, sich zu entschuldigen. Es hätte genügt, wenn er wortlos die Tür zugemacht hätte.
Doch auf einmal überfiel ihn ein Hass, den er schon auf der Akademie genährt hatte. Er straffte die Schultern, warf einen verächtlichen Blick auf die an den Wänden stehenden Betten und die bunten Plakate, die auf dem grauen Anstrich hervorstachen, und verließ den Raum mit einer Bewegung, als wollte er auf den Boden spucken.
Er wusste es nicht, aber mit dieser Geste hatte er sich schlimme Feinde gemacht. Vor allem einen. Ein Mann seines Alters, der die uneingeschränkte Unterstützung seitens der Obersten genoss. Er war wegen seiner Fähigkeit, sich als Soldat, Guerillero, Priester oder sonst jemand auszugeben, als das Chamäleon bekannt und ließ sich von den Gefangenen mit Leutnant Cacho anreden.
»Arschloch …«, murmelte der Bundespolizist und strich sich mit fast zärtlicher Geste über das schüttere Haar. Der scharfe Geschmack des Whiskys tat sein Möglichstes, um den eher eingebildeten Geruch nach Mundwasser und Zahnpasta zu überdecken, nach dem das Glas roch. Ein guter Grund, es noch einmal zu füllen.
Sogar der Kommandant ging äußerst vorsichtig mit al lem um, was Leutnant Cacho betraf, der ziemlich intelligent und zu verrückt war, um einfach nur ein Gefangener zu sein. Er genoss seine Rollen, seine Inszenierungen, seine tausend Kriegsnamen und vor allem seine fast uneingeschränkte Macht.
»Er hat sich darin gesuhlt wie ein Schwein …«, grummelte er, durchwühlte voller Wut das Jackett nach Zigaretten und zündete sich eine an.
Einmal war der Befehl zur Verlegung ergangen, und elf oder zwölf der Gefangenen warteten, auf dem Boden sitzend, mit auf dem Rücken gefesselten Händen und einer blutgetränkten und schmutzigen Kapuze auf dem Kopf. Wie immer hatte man ihnen gesagt, dass man sie in ein Gefängnis bringen und als offizielle Gefangene registrieren würde, doch der Angstgeruch schwängerte die Luft, und einer von ihnen, den man wegen der schmutzigen Kapuzen, die ihre Köpfe bedeckten, nicht identifizieren konnte, weinte. Sie wollten gerne glauben, was man ihnen erzählte, aber im Grunde wussten sie, dass sie bereits so gut wie tot waren. Der Instinkt trügt selten.
»Die Hoffnung stirbt zuletzt …«, sagte er sich und musste sich eingestehen, dass er ein wenig betrunken war. »Er hat sich als Priester ausgegeben, dieses Schwein, und sie aus reinem Vergnügen zum Weinen gebracht.«
Bestimmt hatte er die Soutane aus den erbeuteten Sachen, die nach jedem Kommandoeinsatz im ›Keller‹ landeten. Damit bekleidet und mit einem Rosenkranz aus Holz in der Hand, beugte sich das Chamäleon über jeden Gefangenen, um ihm seinen Beistand aufzuzwingen und jeden Widerstand zu brechen. Es war, als würde er sie vergewaltigen, aber auf eine schlimmere Weise als auf die rein körperliche.
Ein weiterer Vorfall, um dieses miese Chamäleon namens Leutnant Cacho zu hassen. Denn anstatt sie einfach in Ruhe
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