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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chamäleon Cacho
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wenn sie zu reden aufhörte. Danach griff sie ein neues Thema auf, bei dem sie eine Zeit lang verweilte, sofern sie nicht auf ihre Schenkungen zu sprechen kam.
    »Es gibt so viele sich selbst überlassene Landsleute in dieser Wüste«, sagte Carlos mit bitterer Miene und einer vor Ohnmacht brüchigen Stimme. »Sie sind auf ihre paar Schafe angewiesen und ertragen das Leben wie eine Strafe und nicht wie ein Geschenk Gottes.«
    »Und sie haben so viele Kinder, als würden sie vom Himmel fallen und sich selbst ernähren können«, erwiderte Doña Rosa, die es müde war, immer dasselbe zu sagen. »Sie sind zu nachsichtig, Pater. Ich denke, so schlecht geht es ihnen gar nicht. Sehen Sie doch, wie viele Kinder sie haben, und die macht man nur auf eine Weise. Hat man Ihnen im Priesterseminar nicht das Märchen von den Bienen und den Blumen erzählt, Pater?«
    Carlos lächelte und wedelte ergeben mit erhobenen Händen.
    »Sie sind ganz die Alte, Rosa. Der Splitter im Auge des anderen …«
    »Und nicht der Balken im eigenen?«, vervollständigte die Alte den Satz streitlustig. »Wenn Sie mir das Haus, das Porzellan und alles, was mich umgibt, vorwerfen wollen, kann ich nur sagen: Sollen Ihre Landsleute doch kommen und es sich holen.«
    »Das würden Sie zulassen?«
    »Natürlich nicht. Sie sollen es sich verdienen. Sollen sie doch eine Revolution machen, mein Haus anzünden und mich auf einem öffentlichen Platz aufhängen. Und Sie auch, Pater. Soldaten, Priester, Emporkömmlinge, die am Galgen zappeln, ein Strick nutzt sich nicht ab, und Kugeln sind zu teuer. Teufel auch!«
    Doña Rosa wackelte mit dem Kopf wie ein gluckendes Pygmäenhuhn. Ein winziges Häkeltaschentusch wurde rasch gezückt, um zwei Tränen wegzuwischen, die ihr vor Lachen über die Wangen rannen.
    »Rosa, es ist nicht zu glauben; Sie werden von Tag zu Tag kämpferischer.«
    »Was wollen Sie, Pater Carlos, das liegt mir im Blut, auch wenn es ein bisschen spät dafür ist. Mein Vater war Anarchist. Ich habe es Ihnen doch erzählt, nicht wahr? Sagen Sie es mir ruhig, denn ich möchte nicht zu diesen lästigen Alten gehören, die fortwährend dasselbe erzählen.«
    »Wir sind Freunde, Rosa, ich höre Ihnen gerne zu.«
    »Guter Junge … Wenn Gott eine solche Nervensäge ist wie ich, haben Sie sich bereits einen Platz zu seiner Rechten verdient. Ein Gläschen Kirschlikör, Pater?«, fragte Doña Rosa. Ohne die Antwort abzuwarten, läutete sie ein Silberglöckchen mit einem hellen und durchdringenden Ton.
    »Als ich ein kleines Mädchen war, schaffte mein Vater Lebensmittel in die Kordilleren, und auf dem Rückweg brachte er die Karren bis obenhin mit Wolle beladen zurück. Sie hatten hohe Räder wie diese Lastwagen, die draußen vor meinem Haus einen solchen Lärm veranstalten, als gäbe es keinen anderen Ort, wo sie entlangfahren könnten.«
    Geräuschlos trat das Dienstmädchen aus der Dunkelheit neben den Rattantisch und nickte mit einem Flüstern, als die Alte ihren Wunsch äußerte.
    Carlos wandte sich nach ihr um und sah, wie sie davonging. Die Dunkelhaarige war um die fünfzehn, hatte indianisches Blut und war in jeder Hinsicht am Erblühen. Ihr geräuschloses Erscheinen im Esszimmer verriet sie: Die Tür hatte keinen Lärm gemacht, weil sie sie nur angelehnt hatte, um ihnen zu lauschen. Außerdem hatte sie sich Zeit gelassen, auf das Klingeln zu reagieren, als käme sie aus der Küche oder ihrem Zimmer, das im hinteren Teil des Hauses lag. Diese Raffinesse war aufschlussreich und verdiente besondere Aufmerksamkeit.
    Als Doña Rosa wenig später den Kirschlikör vor sich hatte, der in dem Gläschen wie purpurnes Öl glänzte, nahm sie ihren Faden wieder auf.
    »Durch meinen Vater lernte ich meinen späteren Ehemann kennen, einen rechtschaffenen Spanier, der meiner Mutter gefiel, weil er nicht wie mein Vater war, glaube ich.«
    Die Alte verzog das Gesicht, als erneut eine Brise durch die Fensterläden drang.
    »Zum Glück tragen Sie, die Priester der Dritten Welt, keine Soutanen. Bei diesem Wind und dieser Hitze wäre das eine Qual.«
    »Ich glaube, wenn ich sie tragen müsste, würde ich darüber stolpern und mir irgendwann den Hals brechen«, stimmte Carlos leise lachend zu, als handle es sich um einen Seminaristenscherz; er war sich des Mädchens, das hinter der Tür lauschte, wohl bewusst, und ein Teil seiner Inszenierung galt ihr. »Außerdem müsste ich dann ein Damenfahrrad benutzen … und ich schwing mich lieber anders in den Sattel.«
    Die Alte

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