Arglist: Roman (German Edition)
verließ Little sein Büro und ging zum Parkplatz der Schule. Bevor er seinen drei Jahre alten silbernen Mercedes 350 SL erreichte, wurde er von einer sechsköpfigen Schülergruppe abgefangen. Später bezeichneten sie das Gespräch als witzig. Sie quatschten mit Dr. Ben, bis der auf die Uhr sah und sich entschuldigte, er sei schon spät dran für einen Termin. Den Aussagen der Schüler nach verließ Little den Parkplatz gegen halb fünf.
Der Termin war ein Treffen mit einer ortsansässigen Gruppe von Anwohnern und mit Connie Kritz, einem Mitglied der Aufsichtsbehörde der Stadt Los Angeles. Es ging um die Unterbringung von Obdachlosen in der Gemeinde – in den Neunzigern ein heiß umstrittenes Thema.
Nicht dass die Obdachlosen heute weniger Hilfe benötigten. Aber nach seiner jahrelangen Erfahrung im Umgang mit Bürgerinteressen wusste Decker, dass immer nur ein Thema davon zu Berühmtheit gelangen konnte. Die ungewaschenen Schizophrenen schienen von der globalen Klimaerwärmung abgelöst worden zu sein.
Den Akten nach hatte Little vom Auto aus um 16:52 Uhr seine Privatnummer gewählt. Melinda Little, seit fünfzehn Jahren seine Ehefrau, sagte, dass das Gespräch wegen des schlechten Empfangs im Auto sehr kurz gewesen sei. Ben habe gesagt, er komme so gegen 19 Uhr nach Hause.
Als die Uhr acht schlug, begann Melinda, sich Sorgen zu machen. Sie rief auf seinem Autotelefon an, aber es ging niemand ran. Sie piepste ihn auf seinem Pager an, aber er rief nicht zurück. Trotzdem war sie noch nicht ernsthaft beunruhigt, da sie dachte, dass er das Ding wegen tiefschürfender Diskussionen ausgeschaltet hatte. Die Gefühle kochten hoch, wenn es um die Obdachlosen ging. Als ihre Kuckucksuhr neun schlug und sie immer noch nichts von ihm gehört hatte, sagte Melinda ihren Söhnen, sie müsse noch einmal kurz weg.
Melinda fuhr zum Civic Auditorium, nur um es verlassen vorzufinden. Mit zitternden Händen machte sie sich wieder auf den Heimweg, schloss sich zu Hause im Schlafzimmer ein und ging die Telefonliste der Gemeindeverwaltung durch, bis sie den Privatanschluss von Connie Kritz herausgefunden hatte. Die Aufsichtsbeamtin war erstaunt, dass Melinda noch nichts von Ben gehört hatte. Laut Connie war das Treffen gegen halb acht zu Ende gewesen, und sie glaubte, Ben sei mit dem Rest der Gruppe gegangen.
Mittlerweile war es kurz vor zehn.
Melinda rief die Polizei an, nur um zu erfahren, dass ein Erwachsener offiziell erst als vermisst galt, wenn er oder sie seit mindestens achtundvierzig Stunden verschwunden war. Sie sagte ihnen, wie ungewöhnlich es für Ben war, sich zu verspäten, aber das interessierte den Sergeant nicht. Er stellte ein paar andere Möglichkeiten in den Raum:
Vielleicht war er bei einem Freund.
Vielleicht war er bei einer Freundin.
Vielleicht aß er irgendwo zu Abend.
Vielleicht war er in irgendeiner Bar.
Vielleicht fuhr er ein bisschen durch die Gegend.
Vielleicht hatte er eine Midlife-Crisis und brauchte Zeit zum Nachdenken.
Wie dem auch sei, der Sergeant riet ihr, ins Bett zu gehen, denn am nächsten Morgen würde sich das Ganze bestimmt von selbst aufklären.
Melinda wollte davon nichts hören. Sie wusste, dass Ben, sollte ihm etwas zugestoßen sein, aus dem Auto angerufen hätte. Dafür war das verdammte Ding schließlich da. Für Notfälle.
Um halb zwölf Uhr nachts klopften die beiden Jungs an die Schlafzimmertür und fragten, warum ihre Mutter sich seit eineinhalb Stunden dort eingesperrt hatte. Um sie nicht aufzuregen, sagte Melinda ihnen, sie würde einer Freundin helfen, der es nicht gut ging.
»Wo ist Daddy?«, fragte der Jüngste.
»Unterwegs, er hilft auch gerade jemandem.«
Ihre Söhne hatten kein Problem damit, ihr zu glauben. Ben half andauernd jemandem.
Melinda schickte ihre Jungs wieder ins Bett und setzte ihre Telefonate fort. Eine Stunde später, als sie immer noch nichts von Ben gehört hatte, kamen ihre engsten Freundinnen vorbei, um zu bleiben, bis diese Prüfung vorbei wäre. Die dazugehörigen Ehemänner hatten sie losgeschickt, nach Ben und/oder seinem Auto Ausschau zu halten.
Der gefürchtete Anruf ging um 03:30 Uhr morgens ein. Ben Littles Mercedes war aufgetaucht – als einziges Auto auf einem befestigten Parkplatz am Clearwater Park. Jemand hatte die Polizei gerufen. Irgendwann kamen zwei Streifenwagen zu dem Fundort.
Das Innere des Autos war leer und von Ben keine Spur zu sehen. Während die versammelte Mannschaft noch über den nächsten Schritt
Weitere Kostenlose Bücher