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Argus #5

Argus #5

Titel: Argus #5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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zwischen den Besucherbänken auf die majestätische Mahagonitür zu. Die Hand an der Klinke, drehte sie sich noch einmal um. Joe Varlack und Anne-Claire Simmons standen vor der Geschworenenbank, auf Höhe ihres Mandanten, der am äußersten Ende der Bank stand. Obwohl sie gedämpft sprachen und Daria aus der Entfernung nicht hören konnte, was sie sagten, war ihre Körpersprache einfach zu deuten: Beide Anwälte waren stinksauer, und ihr Mandant hörte ihnen nicht zu. Nicht nur das, der hübsche Talbot wirkte sogar seelenruhig. Das fesselte Darias Aufmerksamkeit, als sie an der Tür des Gerichtssaals stand. Dieser Mann wurde eines grausamen Mordes beschuldigt, landete auf absehbare Zeit im Gefängnis, musste mit einer Anklage durch das Geschworenengericht rechnen und am Ende möglicherweise sogar mit der Todesstrafe, und doch wirkte er ungefähr so interessiert oder berührt, als hätte die Versammlung, in der er sich befand, soeben über das Wetter in Nepal debattiert. Daria hatte schon erlebt, wie sich knallharte Gang-Mitglieder über einen Strafzettel deutlich mehr aufregten. Beinahe schien er sich zu amüsieren.
    Während sie noch darüber nachdachte, wie merkwürdig und irritierend die Reaktion ihres Angeklagten war, oder besser, das Fehlen einer solchen, sah sie, wie er die Lippen bewegte. Dann hob er mit einem selbstgefälligen Lächeln die gefesselten Hände und zeigte damit auf Daria am anderen Ende des Saals. Diejenigen, die ihn beobachtet hatten, sahen sich um, und plötzlich verrenkten sich alle Anwesenden die Köpfe, weil sie sehen wollten, auf wen der beschuldigte Sadist mit seinen rasselnden Handschellen so demonstrativ zeigte – wie der Geist der vergangenen Weihnacht aus dem Charles-Dickens-Roman.
    Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie fühlte sich ertappt, als hätte man sie erwischt, wie sie heimlich in ein fremdes Schlafzimmer spähte, und jetzt stand sie vor der ganzen Nachbarschaft am Pranger. Die Akte fiel ihr aus der Hand, und Papiere und Tatortfotos verteilten sich auf dem Boden. Hastig bückte sie sich, doch dabei fiel ihr die Tasche herunter. Make-up, Stifte, Tampons, Kleingeld und eine Sammlung von Quittungen glitten in alle Richtungen davon. Wieder kam der ganze Gerichtssaal zum Stillstand. Manny und Dixon, der Vollzugsbeamte, der an der Tür stand, eilten herbei, um Daria zu helfen.
    «Danke», murmelte sie den beiden Männern zu, als sie eilig die Papiere in den Ordner und den Kleinkram in ihre Tasche stopfte. «Ist mir wohl aus der Hand gerutscht.»
    Nach ein paar schmerzlichen, totenstillen Minuten brach der Richter den Bann. «Also gut, alle zurück an die Arbeit. Ms. DeBianchi, haben Sie alles? Alles in Ordnung?»
    Daria winkte dem Richter zu. Am liebsten wäre sie im Boden versunken.
    «Harmony, wo ist meine Akte zu Acevedo?», bellte Richter Steyn. «Ich glaube, das hier ist die falsche.» Und so begann die nächste Anhörung.
    «Weiter geht’s!», rief ein Vollzugsbeamter. «Setzen Sie sich. Das gilt auch für Sie, Lunders! Sie haben schon genug Ärger gemacht, meinen Sie nicht, Sonnyboy?»
    «Ich glaube, sie steht auf ihn», hörte Daria jemanden im Zuschauerraum spöttisch flüstern.
    «Ich mach Ihnen die Tür auf, Counselor», sagte Manny, als Daria sich zum Gehen wandte. «Einen schönen Tag noch, Richter», rief er, als sie sich an ihm vorbeischob.
    Auf dem Flur holte Daria tief Luft und versuchte, die Scham abzuschütteln. Sie kam sich vor wie ein Volltrottel, wie eine unfähige Praktikantin, die ihre Akte auf dem ganzen Boden verteilt. Oder, noch schlimmer, wie ein verklemmter Teenager nach dem Augenkontakt mit dem Quarterback der Schule.
    Warum zum Teufel brachte er sie so aus dem Konzept? Warum hatte sie die Fassung verloren? Sie war stinksauer.
    Vielleicht war es Neugier. Vielleicht war es Trotz. Vielleicht war es der verkappte Versuch, ihre Autorität wiederherzustellen, der sie dazu brachte, erneut einen Blick zur Geschworenenbank zu werfen, bevor sich die Tür des Gerichtssaals mit einem hydraulischen Zischen hinter ihr schloss. Was auch immer der Grund, der Auslöser war, sie bereute es sofort. Denn in all den Jahren, in denen sie schreckliche Männer wegen schrecklicher Verbrechen angeklagt hatte, hatte sie niemals das eiskalte Kribbeln der Angst gespürt, die durch ihre Adern jagte, wenn sie einen Angeklagten ansah. Nie zuvor hatte sie gegen den übermenschlichen Drang ankämpfen müssen, davonzulaufen, so schnell und so weit, wie sie nur konnte. Noch nie hatte

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