Argus #5
nicht mit ihr kompatibel war. Doch sie konnte nichts dagegen tun. Und so war sie jetzt, auf dem Heimweg nach einem chaotischen Tag im Büro, enttäuscht, dass er noch nicht angerufen hatte, grübelte besorgt, was dazwischengekommen sein könnte, und fragte sich wie ein Teenager, wann sie ihn endlich wiedersah. Es war vollkommen verrückt. Plötzlich wollte ihre Workaholic-Seele abends keine Überstunden mehr machen und am Wochenende auch nicht. Sie war ihrem Job untreu. Sie verbrachte die Zeit lieber mit Manny.
Da saß sie also im Stau hinter dem Kleintransporter eines religiösen Spaßvogels und versuchte, sich mit Küchenpsychologie selbst zu analysieren.
Vielleicht war es der Tabubruch, der sie reizte: Manny war nicht ihr Typ, wegen der beruflichen Überschneidung musste die Beziehung geheim bleiben. O weh … genau die Story vieler schlechter Kitschromane, die sie über die Jahre gelesen hatte. Vielleicht war es die Suche nach Abenteuer, vielleicht eine verfrühte Midlife-Crisis. Ihre Art, sich von ihrer Jugend und der freien Liebe zu verabschieden, weil die böse Dreißig auf sie zukam und, wie ihre Mutter sie ständig erinnerte, ihre biologische Uhr tickte. Bis jetzt hatte sie es erfolgreich geschafft, die Affäre geheim zu halten. Sie hatte Manny zu Verschwiegenheit verpflichtet, und selbst ihre Freundin Lizette – die bei der Staatsanwaltschaft stets als Erste alles wusste – hatte sich noch nicht gewundert, warum Daria so viel Zeit mit ihrem Ermittler verbrachte. Vielleicht war es deshalb immer noch geheim, weil einfach niemand auf die Idee kam, dass sie und Manny ein Paar sein könnten. Aber irgendwann würde es doch rauskommen. Der Gedanke beunruhigte sie. Was wäre dann? Wäre damit der Reiz weg? Sie bildete sich zwar ein, dass ihr völlig egal war, was die Leute dachten, aber … Was würden die Leute denken? War ihre Unvereinbarkeit so augenfällig wie der Größenunterschied? Und warum sollte sie das stören? Wäre sie stolz, mit ihm zusammen zu sein? Oder war ihre Nervosität ein schlechtes Zeichen?
Daria fuhr sich durchs Haar und seufzte. Natürlich musste sie auch an den Fall Talbot Lunders denken. Auch wenn Beziehungen zwischen Staatsanwälten und Cops nicht direkt gegen das Gesetz verstießen und auch nicht unbedingt als unethisch betrachtet wurden – ihre Liaison würde sicherlich Verwunderung hervorrufen. Und unangebracht erscheinen, wegen möglicher Interessenkonflikte. Die Ironie des Schicksals war ihr nicht entgangen, dass sie sich kürzlich noch über die Beziehung zwischen C. J. Townsend und Dominick Falconetti mokiert hatte, dem leitenden Ermittler im Cupido-Fall. Und am selben Abend war sie mit Manny im Bett gelandet.
Sie musterte den hübschen jungen Mann am Steuer des Cabrios neben ihr, der eine Zigarette rauchte und in sein Handy sprach. Er lächelte ihr zu. Sie sah weg.
Dann fing ihre Tasche auf dem Beifahrersitz zu summen an. Al Pacino alias Tony Montana rief ihr mit starkem kubanischem Akzent Scarface -Zitate zu.
Das war er. Der kubanische Teddybär. Daria holte Luft.
«Wo bist du?», fragte er, als sie dran war. «Ich stehe hier unten und suche nach deinem Wagen, aber du bist nirgends zu sehen. Denkst du, weil du Beamtin bist, kannst du einfach so nach Hause gehen? Wie viel Uhr ist es – sieben? Verdammt, ist es wirklich schon so spät?»
Sie grinste. «Du Stalker. Ich bin auf der I95 auf dem Weg nach Hause. Als du nicht ans Telefon gegangen bist, dachte ich, du musst arbeiten oder so was.» Oder so was. Sie würde ihm nicht auf die Nase binden, was sie sich alles vorgestellt hatte. Sie ärgerte sich selbst, dass sie solche Ängste hatte. Die bescheuerten Regeln und Spielchen arbeiteten mit voller Kraft. Der Schalter war umgelegt. Der Kontrollfreak in ihr hatte sich vorgedrängelt. Immer drei Schritte voraus sein. Lass ihn bloß nicht denken, dass du eifersüchtig bist. Oder dass er dir etwas bedeutet. Es ist nur eine dumme, kleine Affäre, mehr nicht, klar? Hat sowieso keinen Sinn. Das bist nicht du, Daria, das ist eine Trotzreaktion.
«Musste ich auch. Verdammte Leichen», sagte Manny. «Haben einfach keinen Respekt vor anderer Leute Bürozeiten. Ich bin seit vier Uhr früh auf den Beinen. Bandenkrieg in Liberty City. Das war ein Tag, sag ich dir.» Er gähnte.
«Du klingst müde.»
«Es geht.»
«Wir können morgen reden. War nicht so wichtig.»
«Ach, du hattest angerufen?», fragte er. «Hab ich gar nicht gesehen. Ich war den ganzen Tag in so einem
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