Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
triffst.«
Derek stand mit verschränkten Armen vor ihr und warf ihr finstere Blicke zu.
»Du musst entscheiden, ob dir deine vermeintliche Sicherheit mehr wert ist als Ioanas. Wir glauben, sie schwebt in Gefahr. In großer Gefahr. Die Schleuser, die euch von Moldawien hierhergebracht haben, haben sie verkauft. An einen sehr gefährlichen Mann. Und ich glaube, dass nur du uns helfen kannst, sie zu finden.«
Solveigh lauschte auf ein verräterisches Geräusch, aber der Wind, der durch den Stoff wehte und darin Wellen schlug, war das Einzige, was sie hörte.
»Der Mann, der Ioana in seiner Gewalt hat, hat Menschen umgebracht, Liliana. Und wir glauben, dass er Ioana auch umbringen wird. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir sie finden, bevor es zu spät ist. Aber ich kann dir versprechen, dass wir es versuchen werden.«
Tat sie das Richtige? Solveigh hoffte es, denn was sie vorhatte, verstieß mal wieder gegen die Vorschriften.
»Ich kann dir nicht versprechen, dass dein Asylantrag Erfolg hat, Liliana, das könnte niemand, der es ehrlich mit dir meint. Und jetzt liegt es bei dir. Ich werde gehen, wenn du das möchtest. Ich werde gehen, und du kannst dich weiter hier verstecken, ich werde deinen Aufenthaltsort nicht preisgeben. Aber ich bitte dich, uns zu helfen. Für Ioana. Und um deinetwillen. Aber es bleibt deine eigene Entscheidung.«
Solveigh atmete ein. Natürlich könnte sie das Mädchen einkreisen, sie festnehmen und zu einer Aussage zwingen. Solveigh spekulierte darauf, dass eine Fünfzehnjährige, die es geschafft hatte, der Polizei über eine Woche zu entkommen, in einer fremden Stadt, in einem fremden Land, die richtige Entscheidung trifft. Wenn sie recht hatte, gewann sie ihr Vertrauen. Und das war für die nächsten Tage, in denen es galt, Ioana zu befreien, möglicherweise viel wichtiger als alles andere.
Sie hörte zaghafte Schritte hinter einem der Vorhänge. Dann wurde er zur Seite geschoben, und vor Solveigh stand ein Mädchen, Liliana. Etwas scheu, aber nicht verängstigt. Eher vorsichtig, dachte Solveigh. Sie trug eine Lederjacke und eine kurze Hose. Und ihre Stimme zitterte nur sehr leicht, als sie fragte: »Wo ist Ioana? Wer hat sie entführt?«
KAPITEL 89
Veiros, Portugal
Montag, 5. August 2013, 22.14 Uhr (elf Stunden später)
Ioana spürte, dass sich etwas geändert hatte. Der Mann war weniger jähzornig, heute Nacht schien er das Zeichnen zu genießen. Der Bleistift flog über das Papier, und Ioana wusste, dass es ein schlechtes Omen war. Sie starrte auf den Bauern vor ihr, sah die Spitze seiner Pike im Licht der Scheinwerfer und wusste, dass es bald zu Ende gehen würde. In gewisser Hinsicht war sie sogar froh darüber. Ihr Leben war eine endlose Warteschleife vor dem Tod. Sie lag auf der Decke in ihrer Höhle und aß, was er ihr brachte. Bei Einbruch der Dunkelheit zerrte er sie heraus, zog ihr das Kleid an und posierte mit ihr so lange, bis ein Krampf in ihren Waden das Stillstehen unmöglich machte. Dann brachte er sie zurück. Die gleichförmigen Tage und die ständige Dunkelheit waren kein Leben. Es gab keine Hoffnung mehr. Liliana wartete darauf, dass er die Skizze nicht mehr zerriss. Und noch bevor er sie von dem Schachbrett herunterführte, wusste sie an seinen Gesten, dass heute der Tag gekommen war. Er nahm sie an der Hand und zog sie hinaus vor die Scheune. Vermutlich wollte er, dass sie den Himmel noch einmal zu sehen bekam. Und als sie die Sterne betrachtete in all ihrer funkelnden Schönheit und die Ordnung am Firmament und die Stille um sie herum, da wusste sie, dass es das letzte Mal gewesen war. Sie legte den Seidenschal, den er ihr gegeben hatte, um die Schultern und fasste sich selbst um die Taille. Sie wollte den Moment mit jemandem teilen, der nicht er war. Bist du da irgendwo, Lila? Siehst du dieselben Sterne wie ich? Ich werde die Königin sein, damit wird die Prophezeiung erfüllt. Ich bin froh, dass es nicht dich getroffen hat, Lila. Wir werden uns wiedersehen. Ich bin dir nicht böse, das Kleid hat gewählt. Denk mal an mich, wenn du die Sterne betrachtest. In einem Jahr oder in zehn. Bewahre mich in deinem Herzen, so wie ich dich. Dann spürte sie seine Hand auf der Schulter. Sanft, fast zärtlich. Ihr Mörder glaubte, es sei Zeit zu gehen.
Ich liebe dich, Lila, dachte Ioana.
KAPITEL 90
Über Crans Montana, Schweiz
Montag, 5. August 2013, 23.01 Uhr (zur gleichen Zeit)
Die Motoren der betagten Transall machten ein Gespräch unmöglich. Paul Regen saß
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