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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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und die Reihe der Bewegungsursachen muss endlich sein; vor allem aber ist jeder Ursprung von Aktualem aktuell, so dass eine aktuelle Bewegung auch ein aktuell Bewegendes erfordert.
    Aus diesen – für Aristoteles in
Physik
und
Metaphysik
gut gesicherten – Prämissen lassen sich folgende Thesen ableiten (Metaph. XII 6 und 9; Phys. VIII 10):
    – Es gibt ein erstes Bewegendes, das ewig wirkt (auf den ersten Himmel).
    – Das erste Bewegende ist stets aktuell (aktiv) sowie nicht körperlich (immateriell) und unveränderlich.
    – Das erste Bewegende ist unbewegt, hat keine Teile und keine Ausdehnung.
    – Das erste Bewegende gewährleistet Bewegung, Veränderung, Strukturbildung passiv, ist also reine Finalität.
    – Das erste Bewegende ist sich selbst denkende Einsicht.
    Nach diesen Bestimmungen ist der unbewegte Beweger, der aristotelische Gott, seiner Existenz nach physikalisch ableitbar und seinem Wesen nach unbewegte, rein finale und selbstreferenzielle Struktur – die funktionale Organisation des Kosmos im Ganzen. Der unbewegte Beweger ist ein Gott, aber er ist vom Menschen erkennbar und mit dem Besten im Menschen verknüpft. Er ist keine Person mit einem Geschlecht, keine belohnende oder strafende Instanz, die Gebete entgegennehmen könnte, nicht Schöpfer des Kosmos und kein determinierendes vorausbestimmendes Wesen.
    In allen diesen Punkten unterscheidet sich der aristotelische Gott diametral vom christlichen Gott. Nach der aristotelischen Vernunftreligion bewegt der unbewegte Beweger alle Dinge im Universum, ihr höchstes Ziel anzustreben: als endliche Wesen in jeweils spezifischen Formen am Unendlichen teilzuhaben. Diese Partizipation am Unendlichen, verbunden mit der Ehrfurcht vor dem Unendlichen und dem Kosmos, bildet den Kern menschlicher Religiosität und versöhnt endliche Wesen mit ihrer eigenen definitiven Endlichkeit und ihrem [46] individuellen Leid. In einer Vernunftreligion diesen Zuschnitts ist kein Raum für den (aus heutiger Sicht falschen) Glauben an ein individuelles Überleben von Personen nach dem Tod und an einen persönlichen und richtenden Gott, dem gegenüber Ansprache und Gebete sinnvoll sind.
    Die Hypothese vom unbewegten Beweger soll die Frage nach dem Ursprung der Bewegung der Sterne und damit auch der Bewegungen in der sublunaren Sphäre des Kosmos beantworten. Die verschiedenen Arten der Partizipation am Unendlichen lassen sich unter Rückgriff auf den unbewegten Beweger geltend machen – von der ewigen Verwandlung der vier Elemente ineinander über die ewige zyklische Bewegung der Himmelskörper, die Erhaltung der ewigen Existenz der natürlichen Arten von Lebewesen über die Fortpflanzung bis hin zur Erzeugung und Tradierung von Produkten der menschlichen Vernunft (An. II 4, 415a–b).
    Aus dieser Perspektive wird verständlich, dass die meisten Ereignisse im Universum in eine Teleologie eingebunden sind (PA I 1, 641b–642a), d. h. teleologische Ursachen im aristotelischen Sinne haben. Alle diese Ereignisse sind letztlich auf den unbewegten Beweger als Endzustand ihrer teleologischen Prozessualität bezogen. Das bedeutet, dass alle Ereignisse und Dinge im Universum als Teile einer Kette von Ereignissen betrachtet werden können, deren Endzustände in jeweils spezifischen Formen eine Partizipation am Unendlichen sind.
    Viele Ereignisse im Universum sind aber auch notwendig in dem Sinne, dass sie eine effiziente Ursache haben, ohne in ein Telos eingebunden zu sein, z. B. der Wasserkreislauf (APo. II 12, 96a). Einige Ereignisse sind hypothetisch notwendig, in dem Sinne, dass unter der Hypothese, dass sie eine bestimmte Eigenschaft aufweisen, sie notwendigerweise eine bestimmte andere Eigenschaft aufweisen; so müssen Sägen z. B. aus Metall sein (Phys. II 9, 200a–b; PA I 1, 642a). Und es gibt Entitäten, die notwendig sind in dem Sinne, dass sie notwendigerweise existieren. In der Physik sind das vor allem die [47] ewigen Dinge oder Typen von Ereignissen, die sich in zyklischen Prozessen auf ewig und in unveränderlicher Weise wiederholen. Notwendigkeit in diesem Sinne ist Ewigkeit (diese Definition von Notwendigkeit wird heute oft »Prinzip der Fülle« genannt) (Cael. I 12; GC II 11).
    Nach Aristoteles sind schließlich auch viele Ereignisse im Universum kontingent, d. h., sie hätten auch nicht stattfinden können. Und wir sind berechtigt, von Ereignissen zu reden, die nicht stattgefunden haben, aber hätten stattfinden können. Dazu gehören einige gewaltsame (also

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