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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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nicht natürliche) Ereignisse ebenso wie menschliche Handlungen. Insbesondere können Ziele, also teleologische Endzustände, kontingent sein. Grundsätzlich liegen daher indeterministische Strukturen im Universum vor (Phys. II 4, 196a; II 5, 196b; NE III 5, 1112a). Das Universum enthält Notwendigkeit und Teleologie – freilich »mit Lücken«. Das teleologische »Weltbild« des Aristoteles ist gebrochen und komplex: Die meisten Prozesse im Kosmos sind teleologisch strukturiert, doch diese Prozesse sind durchsetzt mit effizienten Notwendigkeiten und Kontingenzen.
    Aristoteles unterscheidet genauer einseitige Möglichkeit von zweiseitiger Möglichkeit:
Einseitige Möglichkeit
ist das Mögliche, dessen Gegenteil nicht notwendig ist; wenn etwas möglich ist in diesem Sinne, dann könnte es zugleich auch notwendig sein.
Zweiseitige Möglichkeit
oder
Kontingenz
ist das Mögliche, für das sowohl gilt, dass es selbst nicht notwendig ist, als auch dass sein Gegenteil nicht notwendig ist – so dass, wenn etwas möglich in diesem Sinne ist, es offenbar nicht notwendig sein kann (Top. II 6, 112b ff.; Int. 13, 23a; APr. I 13). Diese Unterscheidung erlaubt es, den Indeterminismus begrifflich strenger zu fassen: Der Indeterminismus ist durch Kontingenz gekennzeichnet, nicht nur durch einseitige Möglichkeit. Vor diesem Hintergrund ist das Notwendige das, was nicht hätte anders sein können – das, was nicht kontingent ist.
    Aristoteles hat auf dieser Grundlage als Erster in der [48] Geschichte des westlichen Denkens ausdrücklich einen moderaten Indeterminismus verteidigt: Zumindest einige Ereignisse im Kosmos sind kontingent.
    Aristoteles war zweifellos einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Generalisten. Er hat sich auf vielen verschiedenen Gebieten auf innovative Weise betätigt. Ein Beleg für diese These ist seine Ausarbeitung der ersten – und zudem umfassenden – naturwissenschaftlichen Theorie, die zugleich wissenschaftstheoretisch angeleitet war: der Biologie, genauer der Zoologie. Nach der Arbeit an formalen Disziplinen wie Logik und Wissenschaftstheorie, an der frühen essenzialistischen Metaphysik und dem Beitrag zur Astronomie im Rahmen der Naturphilosophie war die Beschäftigung mit der Zoologie für Aristoteles eine deutliche Wende zu einer empirischen Ausrichtung seiner wissenschaftlichen Aktivität. 11
    Die traditionelle Aristoteles-Interpretation versteht diese empirische Ausrichtung als Bruch mit seiner Arbeit an formalen und metaphysischen Fragestellungen. Aristoteles soll sich demnach vom Platoniker zum Empiriker entwickelt haben. 12 Aber wir dürfen nicht vergessen, dass er diese Wende in vollem Einklang mit seiner wissenschaftstheoretischen Position und seinem naturphilosophischen Programm vollzog – wir können den Übergang zu einer empirischen wissenschaftlichen Theorie geradezu als folgerichtige Anwendung und Konkretisierung der Wissenschaftstheorie und Naturphilosophie ansehen, wie sie die
Zweite Analytik
und die
Physik
präsentieren. Zugleich kam der Beschäftigung mit der Zoologie eine wichtige Funktion für die spätere Weiterentwicklung der essenzialistischen Metaphysik zu, denn lebende einzelne Tiere waren für Aristoteles stets das Paradigma der primären Usia – der fundamentalsten Art des Seienden mit dem höchsten Grad an ontologischer Autonomie. Insofern stellt die Entwicklung der Zoologie als empirische naturwissenschaftliche Theorie ein wichtiges Scharnier in der philosophischen Entwicklung des großen Generalisten dar.
    [49] Tatsächlich rechtfertigt Aristoteles in einem der wichtigsten Kapitel zur Methodologie der Biologie (PA I 1) die empirische und philosophische Beschäftigung mit den Tieren ausdrücklich vor dem Hintergrund der großen kosmologischen Themen in Naturphilosophie, rationaler Theologie und Astronomie. Zwar räumt er ein, dass die Kosmologie die erhabendste wissenschaftliche Aktivität ist und die würdigsten Gegenstandsbereiche betrachtet, aber er warnt davor, die wissenschaftliche Beschäftigung mit weniger erhabenen und näher liegenden Dingen wie den Tieren auf der Erde (einschließlich der Menschen) zu vernachlässigen. Es sind drei Überlegungen, die Aristoteles in diesem Kontext in Anschlag bringt: Erstens sind selbst die niedrigsten Tiere in ihrer Zweckmäßigkeit auf ihre eigene Weise bewunderungswürdig; zweitens stehen Pflanzen und Tiere dem Menschen näher als Sterne und Götter, und diese Verwandtschaft wiegt die höhere Würde kosmologischer

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