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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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Fortpflanzung als Klassifikationskriterium. Diese verschiedenen Einteilungen bleiben nebeneinander stehen, und wir haben gute Gründe anzunehmen, dass diese taxonomische Offenheit eine bewusste theoretische und methodologische Entscheidung war. 13 Der entscheidende Gesichtspunkt ist für ihn das explanatorische Interesse, also Ursachen für die festgestellten Fakten zu finden. Wie die neueste Forschung eindrucksvoll gezeigt hat, richtet Aristoteles die taxonomischen Klassifikationen nach seinen verschiedenen Erklärungsinteressen aus: Der Pluralismus der Taxonomien ist der Verschiedenheit der korrespondierenden Erklärungsziele geschuldet.
    Ein wichtiges Teilstück der aristotelischen Zoologie bilden die Überlegungen zum Aufbau der Tiere. Diese Überlegungen beruhen auf der naturphilosophischen Position, dass die Tiere wie alle anderen konkreten (materiellen) Entitäten auch [52] letztlich aus den vier Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde zusammengesetzt sind, die ihrerseits jeweils aus zwei der vier Grundqualitäten Wärme, Feuchtigkeit, Kälte und Trockenheit gebildet werden und durch deren Wandel ineinander übergehen. Aber diese Theorie wird in der Schrift
Über die Zeugung der Tiere
ergänzt durch die erstmalige Unterscheidung zwischen einem Gemisch (
synthesis
), das in seine Bestandteile aufgelöst werden kann und daher nur eine additive Zusammensetzung seiner Bestandteile ist, und einer Lösung (
mixis
), die nicht auf mechanische Weise in elementarere Bestandteile aufgelöst werden und diesen Bestandteilen gegenüber neue Eigenschaften annehmen kann. Die Lösungen bestehen materiell aus Wasser, Erde und Luft und werden durch die Grundqualitäten Wärme und Kälte zusammengehalten und umgestaltet. Aristoteles hat damit der Sache nach erstmals den Begriff chemischer Verbindungen ins Auge gefasst. Dabei hat er offenbar auch zwischen chemischen Verbindungen in der Umwelt von Lebewesen und innerhalb der Lebewesen unterschieden (Meteor. IV). Der Aufbau der Lebewesen erfolgt demnach auf der Grundlage organischer chemischer Verbindungen.
    Eine weitere bemerkenswerte wissenschaftliche Leistung ist in diesem Zusammenhang die grundlegende Unterscheidung von »gleichteiliger« Materie (»Homoiomerien«, homogene Teile) wie Blut (Teile von Blut sind wieder Blut) und »ungleichteiliger« Materie (»Anhomoiomerien«, heterogene Teile) wie z. B. dem Magen (Teile des Magens sind nicht Magen). Hier liegt der Sache nach die fundamentale Unterscheidung zwischen Gewebe und Organen vor. 14 Die wissenschaftliche Erklärung der verschiedenen Arten von Gewebe und Organen ist in methodologischer Hinsicht der Kern der teleologischen oder funktionalen Theorie der (Teile der) Tiere: Beispielsweise ein bestimmtes Organ wissenschaftlich zu erklären heißt im Wesentlichen, die Funktion dieses Organs für den gesamten Zusammenhang und das Überleben des entsprechenden Tieres zu erklären. Betrachten wir exemplarisch eine [53] konkrete funktionale (teleologische) Erklärung in der Schrift
Über die Teile der Tiere
. 15
    Warum haben alle blutführenden Tiere einen Magen? Eine erste teleologische Erklärung ist: um externe Nahrung aufnehmen zu können. Denn der Magen ist genau jenes Organ, das externe Nahrung aufzunehmen gestattet. Mit dieser noch recht trivialen Erklärung gibt sich Aristoteles aber nicht zufrieden. Warum nehmen blutführende Tiere externe Nahrung auf? Offenbar um die Nahrung intern zu verdauen. Das Verdauen besteht in erster Linie darin, die Nahrung zu erhitzen, d. h., der Nahrung Flüssigkeit zu entziehen. Und darum sind alle blutführenden Tiere heiß und haben die Kapazität, aufgenommene externe Nahrung zu erhitzen. Tatsächlich ist ja insbesondere das Blut heiß: Jedes Tier, das die aufgenommene Nahrung erhitzen kann, erzeugt Blut. Es ist also die Wirkung und Funktion des Blutes, Nahrung zu erhitzen und verdaulich zu machen.
    Damit ist nicht nur erklärt, dass und inwiefern die Funktion des Magens darin besteht, die Fähigkeit blutführender Tiere zur Selbst-Ernährung über Verdauungsvorgänge zu gewährleisten; Aristoteles benutzt dieses Material auch, um einige weitere Fakten zu erklären, z. B. warum blutführende Tiere die Fähigkeit zur Wahrnehmung haben – nämlich u. a. deshalb, um externe Nahrung aufnehmen zu können. Denn es ist die Wahrnehmung, die es den blutführenden Tieren ermöglicht, Nahrung von giftigen oder neutralen Stoffen zu unterscheiden. Und darum ist die Wahrnehmungsfähigkeit für Tiere

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