Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
will, dann hebt er hervor, dass das Sein in den verschiedenen Kategorien «ausgesagt» wird. Die Frage nach dem Sein erscheint im Horizont der Sprache.
Zugleich ist die Lehre von den Kategorien eine von mehreren Antworten auf die platonische Ideenlehre und wird so als kritisches Argument ins Feld geführt. Während bei Platon das Sein eines Dinges durch seine Teilhabe an der Idee bestimmt ist, liegt für Aristoteles das Sein, die «erste Substanz»im Einzelding selbst, das durch die erste Kategorie bezeichnet wird. Dabei ist diese «erste Substanz» nicht durch eine bloße Klassifizierung nach Gattungen (Mensch = Lebewesen) hinreichend bestimmt, sondern durch die übrigen Kategorien, die nicht voneinander ableitbar sind. Aristoteles bedient sich in mehreren Schriften dieser Argumentation in kritischem Sinne, z.B. bei der Ablehnung einer Idee des Guten als Norm für die Ethik. Es gibt nicht «das Gute selbst» (wie Platon annahm), sondern «gut» existiert nur in den jeweils einzelnen guten Dingen bzw. Menschen in der kategorial differenzierten Aussage (EN I 4, 1096 a 34–b 2; EE I 8, 1217 b 25ff.).
Im folgenden Verlauf der Kategorien-Schrift (Kap. 5–9) gibt Aristoteles sehr detaillierte Erklärungen über die einzelnen Kategorien, ohne indes auf die Kategorien «Wann», «Wo» und «Haben» einzugehen, die als nicht weiter erklärungsbedürftig bezeichnet werden. Es folgen mit den Kapiteln 10 bis 15 die sogenannten «Postprädikamente», deren Echtheit lange umstritten war. Sie haben auch mit der Kategorienlehre unmittelbar nichts zu tun und sind später der Kategorien -Schrift an gehängt worden. Aristoteles (er ist wohl der Verfasser) unterscheidet darin verschiedene Arten von Gegensätzen, von Bewegung und von «Haben» (einen Mantel haben, eine Frau haben usw.), ohne dabei auf die Kategorie «Haben» im Sinne der Kategorienlehre Bezug zu nehmen.
Die kleine Schrift Kategorien gehört zu den am meisten gelesenen und kommentierten Werken des Aristoteles. Dabei verschränkt sich vielfach die Auslegung des Textes mit einer Weiterentwicklung der Kategorienlehre.[ 3 ] Mehrfach wird auch die Zahl der Kategorien abgewandelt. So kannte die hellenistische Stoa nur vier Kategorien. Bei den spätantiken Aristoteles-Kommentatoren, im Neuplatonismus, in den Renaissancetraktaten, bei Thomas von Aquin und späterhin bis zu Kant standen alle Diskussionen um Kategorien in der Tradition der aristotelischen Schrift. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand vor allem die Frage einer rein sprachlich-logischen oder ontologischen Herleitung der Kategorien. Mit Kant ist diese Diskussion in ein neues Stadium getreten. In der Kritik der reinen Vernunft urteilt er über Aristoteles: «Es war ein eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag des Aristoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein Principium hatte, so raffte er sie auf, wie sie ihm aufstießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die er Kategorien (Prädikamente) nannte» (B 107). Kant erstellte in metaphysischer und systematischer Deduktion eine vollständige Tafel der als Urteile verstandenen Kategorien. Es sind vier Hauptkategorien mit jeweils drei Einzelkategorien, also insgesamt zwölf: 1. Quantität mit den Kategorien Einheit, Vielheit, Allheit, 2. Qualität mit den Kategorien Realität, Negation, Einschränkung, 3. Relation mit den Kategorien Substanz, Ursache, Wechselwirkung (Handeln und Leiden) und 4. Modalität mit den Kategorien Möglichkeit, Existenz, Notwendigkeit. Seit Kant gibt es so zwei Traditionslinien einer Kategorien-Philosophie mit Vermittlungsversuchen und Neuprägungen. Einen wichtigen Einschnitt bedeutet die Kategorienlehre von Charles S. Peirce (1839–1914), der in Auseinandersetzung mit Kant nur noch drei Kategorien annahm: 1. «Erstheit» (Firstness), 2. «Zweitheit» (Secondness), 3. «Drittheit» (Thirdness) und darunter 1. das Sein als bloße Möglichkeit, 2. die konkrete Bestimmung eines Seienden und 3. eine mit den Erscheinungen verbundene Gesetzmäßigkeit (z.B. dass eine Tür zu öffnen ist) als triadische Relation verstand, die irreduzibel sei, woraus Peirce dann seine Relationenlogik und Semantik entwickelt hat.
Diese wenigen Beispiele und Andeutungen mögen eine Ahnung von der heuristischen Kraft zeigen, die von der Konzeption der Kategorien durch Aristoteles ausgeht.[ 4 ]
HERMENEUTIK
Unter Hermeneutik versteht man die Kunst (oder Lehre) des Verstehens, der Auslegung zumal von Texten. Es gibt eine theologische, eine
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