Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
juristische und dann (seit Schleiermacher) auch eine allgemeine Hermeneutik. Mit diesem ganzen Komplex hat die Schrift des Aristoteles nichts zu tun, deren (wohl nacharistotelischen) Titel Aristoteles auch sonst nicht verwendet. Das Wort(hermeneia) kommt im Werk des Aristoteles gelegentlich vor und bedeutet in einem ganz allgemeinen Sinne «Verständigung» der Menschen (und übrigens auch der Tiere) untereinander.
In der Hermeneutik [ 5 ] geht es um den Satz als Bedeutungsträger und zwar sowohl im sprachlichen wie im logischen Sinne. Die Bereiche Sprache und Logik sind noch nicht getrennt. Im ersten Teil der Schrift (Kap. 1–5) dominiert der sprachliche, im zweiten Teil (Kap. 6–14) der logische Aspekt.
Am Beginn stehen prinzipielle Bestimmungen über die Funktion sprachlicher Äußerungen.
Es sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme ein Symbol für das, was unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern (ist wiederum ein Symbol) für die sprachlichen Äußerungen unserer Stimme. Und wie nicht alle (Menschen) mit denselben Buchstaben sprechen, so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei allen (Menschen) dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, (für alle) dieselben (De int. 1, 16 a 3–8).
In diesem sprachtheoretischen Modell ist das Wichtigste der Begriff des «Symbols», des «Zeichens», mit dessen Hilfe Aristoteles die akademischen Diskussionen über die Funktion der Sprache auf eine neue Ebene bringt. Denn diese Diskussionen stehen im Hintergrund. Das wird exemplarisch deutlich an Platons Dialog Kratylos, der die sophistische Antithese von Nomos (Festlegung, Übereinkunft) und Physis (Natur) im Hinblick auf die Leistung der Sprache für die Erkenntnis der Dinge anwendet und diskutiert. Der im Dialog auftretende Kratylos vertritt die These von der natürlichen Wortrichtigkeit. Für jedes Ding gebe es nur eine richtige Benennung, und zwar bei allen Völkern die gleiche (Cra. 383 a 4 – b 2). Hermogenes dagegen behauptet, die Benennung der Dinge beruhe auf Gewohnheit und Verabredung. Platon prüft beide Thesen im Hinblick auf die Erkenntnisleistung der Sprache. Wenn Aristoteles die Bezeichnung «auf Übereinkunft»De int. 2, 16 a 19) beruhen lässt, so greift er das alte Schlagwort auf, deutet es aber ganz anders. Er bezieht es nicht auf die Natur der Dinge, sondern der Laute. Denn die Wortformen sind für ihn nicht Symbole der Dinge, sondern Zeichen, die aus Affektionen der Seele herrühren. So wie das geschriebene Wort symbolhaft zum Zeichen des gesprochenen Wortes wird, ist das gesprochene Wort «Zeichen» für seelische Gedanken und Reaktionen. Die Frage nach der Wahrheit der Sprache wird auf dieser Ebene gar nicht gestellt. Dass zwischen das Ding (die Sache) und das Wort die Ebene der seelischen Eindrücke und Regungen gestellt wird, knüpft an Platons Vorstellung vom Denken als einem lautlosen Sprechen der Seele ( Theaetet 189 E – 190 A; Sophistes 26 3 E – 264 A) an, aber in umgekehrter Richtung. Nicht die Sprache wird auf die seelischen Vorgänge bezogen, sondern diese vermitteln die Dinge hin zur sprachlichen Vermittlung.
Aristoteles fragt dann weiterhin, wann eine sprachliche Äußerung zum Bedeutungsträger wird, und findet die Antwort in der Verknüpfung von Nomen (genauer: «Nennwort») und Verb (genauer: «Aussagewort»[ 6 ]) als grundlegende Bestandteile eines einfachen Aussagesatzes (bzw. «Wortgefüges»). Ein solcher «Behauptungssatz»kann wahr oder falsch sein; er kann bejahend oder verneinend sein. Er kann durch Bejahen oder Verneinen Wahres oder Falsches aussagen. Diese Eigenschaft kommt nur dem «Behauptungssatz» zu, nicht aber anderen Formen der Rede wie z.B. dem Gebet (oder «Bitte»; das Wortbedeutet beides), welches ein Wortgefüge darstellt, dem es nicht zukommt, wahr oder falsch zu sein (De int. 4, 17 a 4). Nur angedeutet wird, dass es noch andere Formen der nicht-apophantischen Rede gibt, z.B. die dichterische Rede. Gegenstand der Untersuchung ist, wie Aristoteles ausdrücklich hervorhebt (De int. 4, 17 a 6), die apophantische Rede, die im Behauptungssatz ihren Ausdruck findet.
Damit greift Aristoteles auch in diesem Zusammenhang Diskussionen auf, die in der platonischen Akademie geführt wurden. Insbesondere ist auf den Dialog Sophistes
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