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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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auf den Knien habe abschwören müssen und schließlich am Ende der von der Inquisition gegen ihn angestrengten Gerichtsverhandlung am 26. Juni 1633 beim Verlassen des Klosters Santa Maria sopra Minerva gemurmelt haben soll: «Und sie bewegt sie doch» («Eppur si muove»).
    Suchen wir ein etwas differenzierteres Bild zu gewinnen, so stoßen wir zunächst auf die schwer fassbare Gestalt des Aristarch von Samos, der gut zwei Generationen nach Aristoteles als Erster bereits ein heliozentrisches Weltbild entworfen hat. Aristarch (etwa 310–230) war Schüler des zweiten Schulhauptes des Peripatos nach Aristoteles, des Straton von Lampsakos. Er war Mitglied der aristotelischen Schule und ein angesehener Astronom, lebte indes meist in Alexandria und hatte keine allgemeinen philosophischen Interessen. Das einzige von ihm völlig erhaltene Werk ist eine relativ kurze Abhandlung Über die Größen und Abstände der Sonne und des Mondes, in der Aristarch die relativen Entfernungen und Durchmesser von Sonne, Erde und Mond zu bestimmen versuchte. Einen Hinweis auf das heliozentrische Weltbild enthält diese Schrift nicht. Aber dass Aristarch ein solches vertreten hat, ist einwandfrei bezeugt. Der nur etwa 25 Jahre jüngere, berühmt gewordene Mathematiker Archimedes hat eine (erhaltene) Schrift Der Sandrechner ( arenarius, verfasst. Sie enthält eine Untersuchung über die Möglichkeit riesig großer Zahlen – bis zur Zahl der Sandkörner in der Welt – mit der Möglichkeit, diese dekadisch zu formieren und in knapper Form niederzuschreiben. Dieses Werk widmete Archimedes, der in Sizilien lebte, dem Herrscher Gelon von Syrakus und in dem Widmungsbrief teilt er diesem mit, dass Aristarch zu der Auffassung gelangt sei, die Fixsterne und die Sonne seien unbeweglich und die Erde bewege sich um die Sonne (Ar. I 4–6). Das zweite Zeugnis steht bei dem Platoniker Plutarch (1. Jh. n. Chr.), in dessen Dialog Das Mondgesicht (De facie in orbe lunae). Plutarch will darin das sogenannte Mondgesicht, das was auf der uns zugewandten Seite des Mondes als Phänomen sichtbar ist, nicht durch allerlei mythische Geschichten, sondern physikalisch erklären. In diesem Dialog sagt der Pythagoreer Lucius zu dem Stoiker Pharnakes:
Mein Lieber, verklage uns nur nicht vor Gericht wegen Gottlosigkeit, so wie (der Stoiker) Kleanthes meinte, die Hellenen müssten Aristarch von Samos wegen Gottlosigkeit vor Gericht stellen, weil er den Herd des Kosmos bewege. Denn Aristarch versuchte die Phänomene zu retten, indem er annahm, dass der Fixsternhimmel stillstehe, die Erde aber in einem schiefen Kreise umlaufe und sich dabei gleichzeitig um ihre eigene Achse drehe (Kap. 6, 922 f).[ 15 ]
    Es ist dies nicht nur ein Zeugnis für die neue Lehre Aristarchs, sondern auch dafür, dass schon damals die Verfechter einer solchen Lehre mit einer Klage wegen Gottlosigkeit – hier durch den mit Aristarch gleichaltrigen Stoiker Kleanthes – bedroht wurden. Zu tief war das traditionelle Weltbild auch religiös verwurzelt. Das heliozentrische Weltbild hat sich also nicht durchsetzen können, war aber da. Einzig ein sonst unbekannter Seleukos von Seleukia aus Tigris, der einige Jahrzehnte nach Aristarch lebte, schloss sich dessen Lehre mit zusätzlichen Argumenten an. Plutarch berichtet, Aristarch habe seine Lehre nur als Hypothese vorgetragen, während Seleukos dazu Beweise geliefert habe. Einem weiteren Vordringen des heliozentrischen Systems stand dann die komplizierte, aber sehr einflussreiche Lehre des Ptolemaios im 2. Jh. n. Chr. entgegen, obgleich Ptolemaios keineswegs die aristotelische Konzeption völlig übernahm, sondern die Annahme von unbewegten Bewegern als Zweckursachen der Bewegung verwarf zugunsten eines diffizilen Systems von ungleichförmigen Bewegungen mit der kinematischen Epizyklentheorie, wonach die Planeten entlang eines kleineren ‹Nebenkreises› um einen größeren Kreis teils vorläufig, teils rückläufig in einer Schleifenbewegung um die Erde umlaufen.
    So ist denn als der eigentliche Entdecker oder Wiederentdecker des heliozentrischen Weltbildes Nikolaus Kopernikus (1473–1543) anzusehen. Kopernikus, in dem relativ entlegenen Thorn geboren, in Bologna, Padua, Ferrara und Rom umfassend in Jura, Medizin, Mathematik und Astronomie ausgebildet, hat in seinem Werk Commentarium de revolutionibus orbium coelestium die tägliche Drehung der Erde um ihre Achse und den jährlichen Umlauf der Erde um die Sonne wissenschaftlich erwiesen. Er

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