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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dem Flughafen zuwider gewesen. Das alles hier entsprach ihrem schlimmsten Albtraum, aber diesmal ließ sie sich einfach hineinfallen, tanzte, bis ihre Sachen durchgeschwitzt waren und sie selbst wie berauscht war von der Hitze, der Lautstärke und allem, was sie monatelang gemieden hatte. Ihre Stimmung schwankte zwischen Panik und Euphorie, ihr Herz raste im Rhythmus der Beats und bald fühlte sie sich wie in einem brodelnden Kessel, aus dem immer wieder einzelne Gesichter an die Oberfläche blubberten und dann verschwanden.
    Nur einmal hielt sie inne, schaute sich nach Zoe und Lilia um, entdeckte sie an der Bar zwischen anderen jungen Frauen und tauchte zurück in die Menge. Der Geräuschpegel stieg weiter und mit ihm die Temperatur. Lachende, grimassierende Mienen verwirbelten zu Schlieren, Körper zu einer farblosen Masse. Manchmal meinte sie Laute zu hören, die keine Stimmen und auch nicht Teil der Musik waren, ein Heulen und Kreischen, und dann sah sie glühende Augen zwischen all den anderen, sah Fell auf Gesichtern und scharfe Fänge, sah Gestalten, die sich inmitten des Durcheinanders bückten und auf allen vieren davonjagten. Hände wurden zu Krallen, Nasen zu Schnauzen, Ohren streckten und spitzten sich, Augen leuchteten grün und gelb und feuerrot.
    Jemand packte Rosa am Arm und zog sie beiseite. Sie erschrak, wollte sich wehren, stieß gegen eine Wand und begriff, dass sie an den Rand der Tanzfläche geraten war.
    »Es ist genug«, sagte Zoe. »Lass uns gehen.«
    Lilia stand neben ihr. Beide wirkten ernst und nüchtern und Rosa kam langsam wieder zu sich. Als sie über die Schulter schaute, zurück ins Gedränge, sah sie nur tanzende Menschen. Keine Raubtiere mehr, keine gebogenen Zähne. Allein ihre Augen glühten weiterhin im flackernden Beschuss der Lichterartillerie.
    Sie spürte ein heftiges Pulsieren in ihrem Brustkorb, dann in ihren Hüften. So kündigte sich ihr Phantomschmerz im Unterleib an. Sie musste schleunigst hier raus und plötzlich begriff sie, dass Zoe das längst bemerkt hatte. Auch Lilia sah besorgt aus.
    Die beiden manövrierten sie aus der Menge, die Treppe hinauf an die frische Luft. Rosa schaffte es bis zur nächsten Ecke, gerade aus dem Blickfeld der wartenden Menschen am Eingang, dann sank sie gegen eine Mauer und bekam einen jener furchtbaren Weinkrämpfe, die sie niemals erklären und nie kontrollieren konnte.
    Zoe und Lilia blieben bei ihr, ließen ihr alle Zeit, die sie brauchte, und danach führten sie Rosa zurück zum Hotel, brachten sie ins Bett und wachten über sie, bis sie einschlief.
    s
    Sie war früh auf den Beinen und beobachtete den Sonnenaufgang über den Dächern von Rom. Die Suite lag im obersten Stockwerk des Hotels. Vom Balkon aus sah sie dem Licht zu, das rotgold über die verschachtelten Giebel und Terrassen floss, in enge Ziegelschluchten vordrang und die Schatten der Antennen wie verkohlte Gerippe auf die Schrägen warf.
    In ihrem knielangen T-Shirt stützte sie sich auf das Balkongeländer, während die Bilder des vergangenen Abends zu ihr zurückkehrten. Sie war nicht sicher, was mit ihr passiert war. Zwar hatte sie genug Therapiestunden hinter sich, um ihr Verhalten zu analysieren und von emotionaler Kompensation und selbst gewählter Konfrontation zu schwafeln. Aber letztlich war das alles Blödsinn. Sie hatte schlichtweg einen Zusammenbruch gehabt, schon lange bevor sie wieder im Freien gewesen war. Und statt einfach umzufallen, hatte sich ihr Körper wie von selbst in die Menge geworfen und treibenlassen.
    Etwas hatte sich in Erinnerung gebracht, das sie zusehends verdrängt hatte. Sie war noch nicht wieder gesund, ein Teil von ihr litt nach wie vor und würde es auch weiterhin tun.
    Beim Frühstück fassten Zoe und Lilia sie mit Samthandschuhen an. Erst als ihnen klar wurde, dass Rosa nicht beim ersten falschen Wort explodieren würde, entspannten sie sich und erläuterten ihren Plan, Rosa in die Geheimnisse der Stadt und – vor allem – ihrer Boutiquen einzuweihen. Rosa versetzte ihnen einen Dämpfer, als sie ihnen erklärte, den Vormittag über im Hotel bleiben zu wollen. Weder lange Gesichter noch sachlicher Widerspruch konnten sie umstimmen.
    Nachdem die beiden fort waren, studierte sie einen Stadtplan, den sie zwischen allerlei Broschüren im Zimmer gefunden hatte. Sie hatte keineswegs vor, sich in der Suite zu verkriechen. Aber eine Shoppingtour mit Zoe und Lilia war das Letzte, was sie jetzt ertragen konnte. Stattdessen würde sie sich

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